Erst kürzlich erschien die Nummer Neun der Haydn2032-Folge der Joseph-Haydn-Stiftung Basel und ihrer musikalischen Partner, dem Kammerorchester Basel, Il Giardino Armonico und Giovanni Antonini, auf CD, die mich in der Live-Erfahrung 2018 vertrauter machte mit diesem Projekt, bis zum dreihundersten Geburtstag des Komponisten alle Haydn-Symphonien einzuspielen und aufzuführen, sowie zum Konzert nach Breslau führte. Die sogenannte Abschieds-Symphonie stand damals im Mittelpunkt, selbstverständlich ohne zu ahnen, dass es 2020 tatsächlich so einsamer und stiller werden würde. Ein Konzert, gar eine Tour, Reisen, einfach alles nicht möglich. Aber glücklicherweise ist die Unternehmung dadurch nicht zu Ende, die geplanten Aufnahmen konnten trotzdem realisiert und die jetzige Nummer Vierzehn im Jahre 2021 mit drei Symphonien – der titelgebenden „L'Impériale” – für die Haydn Night per Livestream zugänglich gemacht werden.

Und mit ihm der stete Reichtum und Witz dieses größten Glücksgriffs am Hofe Eszterházy, die mich in höchster Anerkennung Haydns Musik einnehmen, zuvorderst dann, wenn sie in der kennzeichnenden Klangsprache des Dirigenten so schroff, angemessen theatralisch und kompromisslos angetragen wird wie unter Antonini. Auch die Symphonie Nr. 33 wies vom ersten Ton an eine unbändige Spiellust, viel Temperament und Attacke auf, so dass keine Note ohne Dramatik blieb, um das Ohr nicht nur für die Farben der historischen Instrumente, Haydns Zeit und Stil, sondern die überstarken Kontraste in Dynamik, Überraschung und Melodiebögen zu schärfen. Immanent einschneidend wird ein solcher Kontrast natürlich mit dem stets herrlich wonnevollen, gesanglichen langsamen Satz, hier dem Andante, das dank berüchtigt ausgeklügelter, wirkungsmächtiger Phrasierung voller Lebendigkeit, Gedanken und Nervenkitzel steckte. Nach einem besonders pointierten Menuet – Trio bat man durch die furiose, brüsk aufgeladene Energie im gespitzten, bissig-spaßigen Finale gleich um eine Wiederholung, zu heftig der bereits entfachte Sog und Rausch.

Sie folgte auch umgehend, quasi mit einer Dosis-Erhöhung in der um Pauken und Trompeten erweiterten Fassung der Symphonie Nr. 54, zu der die durchweg bestimmungsgemäßen Traversflöten und das zweite Fagott stießen, dessen erster Part zusammen mit dem Horn im erkennenden Motiv des Eingangs-Prestos eine gewichtigere Rolle spielen sollte. Die Streicher heizten mich und sich darin genauso weiter an, wie sie sich die Melodien im perfekten Effekt der gegenüberliegenden Violinen zuwarfen und mit Bögen und Figuren im Battagliamodus standen, der nur kleinere Verschnaufspausen zuließ. Eine ellenlange sollte dagegen mit dem Adagio assai vorgesehen sein, als die Geigen ihren Dämpfer auf den Steg setzten. Dieser ausufernde Satz verleitete allerdings nicht unbedingt zu einem schnöden Verweilen, gar Romantisieren, vielmehr zu einem eindringlichen wie zärtlich-geschmackigen Gestalten eines aufreizend schönen wie bisweilen unwägbar melancholischen, manchmal gestörten und immer mit Nachdruck neu formulierten Schwelgens und Grübelns. Allein wegen vorheriger Länge mutete das Allegretto danach mit dem feinsinnigen Einschub Carles Cristobals Fagotts wie eine derbe, vollmundige Erweckung an, durch die das gesamte Orchester unter Konzertmeister Baptiste Lopez – nun ohne Dämpfer – mit Dampf durch die Partitur und das zweite Presto jagte.

Und damit zum nächsten mit dieser Tempobezeichnung überzeichneten Satz, der ursprünglich als Schluss der Frühfassung der Symphonie Nr. 53 („L'Impériale”) gedacht war, vermutlich aber als Sinfonia zu „Genovefens Vierter Theil“ benutzt wurde. Ein absoluter Kracher, wie sich zeigen sollte, obwohl dieser ja eigentlich mit der Soloflöte Georges Barthels und der aufgemotzten Pauke noch bevorstehen sollte. Tatsächlich führte uns das Kammerorchester Basel eine weitere, kaum für möglich gehaltene Steigerung vor und dort mit dem Vivace, dem gutgelaunten Andante, der zünftiger bullernden „Reprise“ in Form des Menuets und dem aufgeladenen Capriccio vor Augen, dass eine Haydn Night wirklich eine aufgeputschte, durchzechte Veranstaltung ist. Mit knackigem Popcorn und erlesener Schoki die beste, inspirierendste Unterhaltung in Sachen Haydn, die es derzeit gibt.


Die Vorstellung wurde vom Livestream des Kammerorchesters Basel auf IDAGIO rezensiert.

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