Philip GlassEchnaton (1983) ist, so nehme ich an, eine Oper. Schließlich gibt es darin Sänger, ein Orchester, Chor, Inszenierung, sogar Arien. Doch Echnaton weicht in so vielen verschiedenen Aspekten so weit von der Standard-Erwartung einer Oper ab, dass es schwer ist, einen Orientierungspunkt zu finden: nichts ist, wie man es erwartet. Das Ergebnis allerdings ergibt ein absolut packendes Hören und insbesondere Sehen. Visuell ist Phelim McDermotts neue Produktion für die English National Opera nie weniger als spektakulär.

Glass' Musik teilt eine Qualität mit der Musik Bachs: beständig stellt er dem Ohr eine Falle und lässt es in eine Richtung reisen, deren Endpunkt zutiefst befriedigend ist. Doch hier enden die Gemeinsamkeiten. Wo Bach seine Ziele durch komplexen Kontrapunkt oder komplexe harmonische Fortschreitungen erreicht, geschieht das bei Glass Wiederholung und Einfachheit. In Echnaton entfernen wir uns nie weit von a-Moll und kaum eine Zeile der Musik ist ohne repetitiv Figur – meist im Vordergrund, manchmal im Hintergrund. Doch in diesen Wiederholungsfiguren liegen sich immer wieder verändernde Rhythmen und Kombinationen von Instrumenten und die vergleichsweise seltenen harmonischen Wechsel sind fesselnd. Muss repetitiv langweilig bedeuten? Keineswegs! Auch nach drei Stunden war ich noch von der Musik gebannt.

Glass ist nicht wirklich daran gelegen, die Details der Geschichte über den ägyptischen Pharao zu erzählen, der versuchte, Ägypten zu einer neuen, monotheistischen Religion zu bekehren. „Echnaton kommt auf den Thron, er konvertiert Ägypten zum Monotheismus, er zieht sich in ein selbst auferlegtes Exil zurück, die alte Ordnung stürzt und töten ihn“ fasst so ziemlich alle Einzelheiten zusammen, die der Hörer erfährt. Glass liegt mehr daran, Klangbilder der Emotionen zu malen, die die Ideen und psychosexuellen Aspekte umgeben. Echnaton gilt als Archetyp für den Ödipuskomplex, und obwohl er mit Nefertiti, einer der großen Figuren weiblicher Schönheit in der alten Welt, verheiratet war, sind Geschlechterdarstellungen von ihm bemerkenswert zweideutig, eine Art Fokus in dieser Inszenierung. Glass zeigt die Emotionen durch Variieren der Instrumentation und einer einzigartigen Vermischung von Stimmtypen. In dieser Produktion gibt Anthony Roth Costanzo der Titelrolle einer Stimme mit mehr roher Kraft als jeder andere Countertenor, ist dabei verschroben, nicht von dieser Welt und völlig rein. Er zeigt absolute Hingabe an die Rolle und wird von Emma Carringtons Nefertiti und Rebecca Bottones Königin Tye gekonnt unterstützt; ihre Duette und Trios umfangen den Hörer mit Wärme.

Der Chor der ENO ist in guter Form. Großteile des Gesangs geschehen in alten, vergessenen Sprachen; es gibt keine Untertitel und ich konnte auch nicht viel verstehen, wenn auf Englisch gesungen wurde. Unerklärlicherweise aber schien das nichts auszumachen. Dirigentin Karen Kamensek webt alles in ein wunderbares, ständig wechselndes Klanggeflecht. Die vorhandene Narrative wird von gesprochenem Wort vorangetrieben, besonders von dem beeindruckenden Zachary James.

Die meisten von uns haben feste mentale Bilder vom Alten Ägypten. Tom Pyes Bühnenbild und Kevin Pollards Kostüme beziehen sich konsequent auf diese Bilder – die silhouettenhaften Ansichten im Profil, die Köpfe der Tiergötter, der königliche Kopfschmuck – ohne je zu versuchen, es als „historische Kostüme“ passieren zu lassen. Mit der Hilfe von Bruno Poets Lichtführung überraschen sie uns ein ums andere Mal. Die Szene, in der Echnaton für seine Krönung angekleidet wird, von splitterfasernackt zu orienalistisch-barockem Ornat von äußerster Opulenz, umgeben von Lichtstrahlen passend zur berühmten Ikonographie des ägyptischen Sonnengottes, ist nur eine von vielen visuellen Freuden; der große Himmelskörper, der im Laufe des zweiten Aktes die Farbe wechselt eine weitere. Es ist eine Produktion, die konstant sehenswert ist auf die gleiche Weise, wie Glass' Musik konstant faszinierend ist für das Ohr.

Oh, und es gibt Jonglage. Ein Team von zehn Jongleuren, um genau zu sein, Gandini Juggling, das große kollektive Virtuosität in der Handhabung von Keulen und Bällen aller Formen, Farben und Größen zeigt. Die Geister werden sich streiten, ob das ein Geniestreich oder ein überzogener Gag war, doch für mich funktionierte es. Die Jonglage ist Teil der Bühnenbewegung, choreographiert mit der Präzision einer Schweizer Uhr, und lässt die Aufmerksamkeit des Zuschauers nicht los.

Bevor ich Echnaton gesehen habe, hätte mir nicht vorstellen können, wie eine Oper eine einzige Geschwindigkeit für die Narrative – die eines Gletschers – haben und dabei doch von Anfang bis Ende vollkommen fesselnd sein kann. Und während ich bei weitem nicht überzeugt bin, dass ich auch nur eine der zugrundeliegenden Botschaften der Oper aufgenommen habe, hat diese Produktion meinen Opernhorizont wahrlich erweitert.

 

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

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