Spielsucht, Scheitern und Selbstzerstörung – diese Themen waren Sergej Prokofjew nur zu gut aus seinem eigenen Leben bekannt, als er seine Oper Der Spieler, basierend auf einem Roman von Dostojewski komponierte. In der fiktiven Stadt Roulettenburg treffen da allerhand kaputte Charaktere im Casino aufeinander. Im Zentrum ein hochverschuldeter General – der sehnsüchtig auf den Tod und das Geld der alten Verwandten Babulenka wartet, um endlich den Sugardaddy für seine junge Freundin Blanche spielen zu können –, dazu seine etwas soziopathisch anmutende Stieftochter Polina, die mit einem raffgierigen Marquis liiert ist, aber auch den Hauslehrer Alexej Iwanowitsch ausnutzt, der für sie schwärmt. Sie alle verlieren im Lauf der Handlung entweder sämtliches Geld oder ihre Würde – und manche auch beides.

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Sean Panikkar (Alexej), Nicole Chirka (Blanche), Michael Arivony (Astley), Asmik Grigorian (Polina)
© SF | Ruth Walz

Der Stoff böte also reichlich Inhalt für einen packenden Opernabend; allerdings nicht in der Interpretation von Peter Sellars bei den Salzburger Festspielen, die man – wenn man schonungslos ehrlich ist – gar nicht wirklich als Regie bezeichnen kann, sondern eher als lieblose Low-Budget-Bebilderung. Das Bühnenbild besteht aus intergalaktischen Wespenfallen, die wohl stilisierte Roulette-Tische darstellen sollen. Mal blinken sie und mal schweben sie vom Schnürboden; Mehrwert bieten sie dabei aber nie.

Asmik Grigorian (Polina) und Sean Panikkar (Alexej Iwanowitsch) © SF | Ruth Walz
Asmik Grigorian (Polina) und Sean Panikkar (Alexej Iwanowitsch)
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Der Bühnenboden und die Wand der Felsenreitschule sind notdürftig mit ein bisschen grünem Stoff bedeckt und etwa ein Viertel der riesigen Bühne wird komplett ignoriert und höchstens für Auf- und Abtritte genutzt. Verlegt hat der Regisseur die Handlung ins Heute, statt Telegrammen werden Mails verschickt, Babulenka war im Duty Free Shop einkaufen und Alexej Iwanowitsch beschmiert einen deutschen Baron in Klimaaktivistenmanier mit oranger Farbe; warum er das tut, erschließt sich weder aus dem Libretto noch aus der Personenregie.

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Der Spieler
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Die ist nämlich überhaupt kaum vorhanden, es wirkt die gesamte Vorstellung über, als wäre Sellars zu den Figuren, ihren Emotionen, ihren Beziehungen zueinander und den Beweggründen ihres Handelns nichts eingefallen, weswegen sie alle relativ blass und völlig belanglos vor sich hin existieren. Als Zuschauer empfindet man daher schlichtweg nichts für diese Charaktere – nicht mal Abscheu oder Schadenfreude – und wäre es eine Netflix-Serie, würde wohl kaum jemand nach der Pilotfolge dranbleiben.

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Sean Panikkar (Alexej Iwanowitsch)
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Gerettet wurde der Abend aber glücklicherweise doch noch an der musikalischen Front, denn was die Wiener Philharmoniker unter dem Dirigat von Timur Zangiev hören ließen, war großes Klangkino. Fein austariert erklangen da etwa erbarmungslos aufgepeitschte Passagen ebenso wie Momente voll lyrischer Zartheit. All die Wünsche und Enttäuschungen der am Abgrund stehenden Seelen, die in Dostojewskis Stoff verhandelt werden, wurden im Graben ebenso farbenreich wie differenziert ausgelotet und verbanden sich zu einem packenden Klang-Psychogramm menschlicher Abgründe.

Ebenso beeindruckend gestaltete Sean Panikkar den nach und nach völlig in die Spielsucht abgleitenden Alexej Iwanowitsch. Denn diese Rolle mit all ihren dramatischen Ausbrüchen stimmlich nicht nur hervorragend zu meistern, sondern sie sogar spielerisch leicht wirken zu lassen und bis zum letzten Ton nuanciert zu gestalten, ist nichts weniger als eine Höchstleistung.

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Sean Panikkar (Alexej), Violeta Urmana (Babulenka), Joseph Parrish (Potapytsch), Asmik Grigorian
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Peixin Chen verlieh dem General a. D. szenisch zwar nicht wirklich Profil, aber sein elegant geführter, voluminöser Bass strömte mal aufbrausend polternd und dann wieder intrigant umschmeichelnd durch die Partie, sodass vokal ganz klar wurde, mit welch falschem Unsympathler man es hier zu tun hat. Nicht weniger pointiert und zwielichtig interpretierte Juan Francisco Gatell den Marquis mit hell timbriertem Tenor.

Viel Zeit stumm auf der Bühne verbrachte Asmik Grigorian und ein bisschen wirkte es so, als ob sie selbst nicht ganz wüsste, warum ihre Polina eigentlich andauernd irgendwo herumsitzen oder -liegen musste. Wenn sie dann endlich auch singen durfte, kam man allerdings in den Genuss glutvoll auflodernder Momente (etwa in der finalen Szene), in denen ihr Sopran in dunklen Farben schillerte und zumindest durch ihre stimmliche Gestaltung der komplexe Charakter der Polina ausgelotet wurde.

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Juan F. Gatell (Marquis), Nicole Chirka (Blanche), Sean Panikkar, Peixin Chen (Der General a. D.)
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So richtig Fahrt nahm der Abend szenisch nur auf, als Violeta Urmana die Bühne betrat und die Babulenka zu einem Rundumschlag gegen den General ausholen ließ. Beeindruckend waren dabei nicht nur ihr Umgang mit dem Text – jedes Wort traf präzise wie ein Giftpfeil! – und die nuancierten Klangfarben, die sie einsetzte, sondern auch ihre enorme Präsenz, die die große Bühne der Felsenreitschule plötzlich auf Kammerspielgröße schrumpfen ließ und ungeachtet jedes Regiemätzchens den Charakter zum Leben zu erwecken vermochte.

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Sean Panikkar (Alexej Iwanowitsch), Violeta Urmana (Babulenka) und Asmik Grigorian (Polina)
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Von den zahlreichen kleineren Rollen konnten insbesondere Michael Arivony als ebenmäßig timbrierter Mr. Astley und Nicole Chirka hervorstechen, die der Blanche nicht nur Wohlklang, sondern auch menschliche Züge verlieh. Exzellent auch der Chor, der einen besonders starken Moment direkt im Zuschauerraum der Felsenreitschule hatte, wodurch die Inszenierung in den Hintergrund völlig rückte, was in mir kurz den Gedanken aufkeimen ließ, dass es angesichts dieses szenischen Nichts eigentlich auch eine konzertante Aufführung des Werks getan hätte.

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