Zu einem opulenten Schubert-Liederabend im Rahmen der Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper München luden der Bariton Konstantin Krimmel, gebürtiger Ulmer und seit 2021 Ensemblemitglied der Staatsoper als Guilelmo in Così fan tutte sowie Yoshio in Hosokawas Hanjo, zusammen mit seinem britischen Klavierpartner Malcolm Martineau ins zauberhafte Cuvilliéstheater der Residenz. Die goldverzierte Spielstätte bietet nicht nur Opern eine Bühne – Mozart zeigte seinen Idomeneo hier das erste Mal –, sie war für die damalige Hofgesellschaft auch eine perfekte Kulisse rauschender Feste.

Franz Schuberts letzte Lieder, auf Dichtungen von Ludwig Rellstab, Heinrich Heine und Johann Gabriel Seidl, stellen an Zuhörer wie Interpreten fast noch höhere Ansprüche als seine Zyklen Die schöne Müllerin oder Winterreise. Unvermittelt stehen Kompositionen nebeneinander, die liedhafte Expressivität zeigen wie das Ständchen oder aber an düstere Grenzen konzessionslosen Aufbäumens gehen wie Der Atlas, der eine ganze Welt des Schmerzes tragen muss. Schuberts Bruder Ferdinand und der Wiener Verleger Tobias Haslinger hatten nach Schuberts Tod 1828 die Auswahl getroffen, unter dem Aufmerksamkeit versprechenden wie bedeutungsschweren Namen Schwanengesang.
Schubert hat offenbar selbst die Gruppen der Rellstab- und Heine-Vertonungen als zusammengehörig betrachtet, da sie im Autograph direkt hintereinander stehen. Andererseits hat er die sechs Heine-Lieder auch gesondert einem Leipziger Verleger angeboten. Wie andere Interpreten es ebenso praktizieren, bot sich für Krimmel mit der Aufteilung des Zyklus auf die beiden Teile des Programms eine sinnvolle Lösung. Die in den Naturstimmungen heterogenen Rellstab-Vertonungen bilden ja wie die Heine-Lieder mit ihrer geballten Intensität und Modernität auch in sich eine Art Zyklus. Krimmel und Martineau gingen sogar noch einen Schritt weiter: an Stelle der üblichen Anordnung bauten sie eine eigene Dramaturgie auf in der Abfolge der Lieder, stellten die helleren Rellstab-Werke an den Anfang (Nr. 1, 3, 4) vor die wehmütig-düsteren (Nr. 7, 6, 5), um mit dramatischer Kriegers Ahnung (Nr. 2) abzuschließen.
Schon in der Liebesbotschaft zeigte Krimmel die Vielfalt seiner Gestaltungspalette: ein hurtig rauschendes Bächlein nahm die Hörer sofort in seiner bukolischen Stimmung gefangen, silbrig spiegelnde Lichtreflexe glaubte man aus feinen hohen Tönen zu entdecken. Wenn die Gedanken zu den Träumen der Geliebten schweifen, nahm er sich ganz zurück, verharrte kurz, wie murmelnd, fast irritierend auf dem „Schlummer“. Ein Bächlein strömte auch durch die Frühlingssehnsucht; nun setzte er samtig tiefe Register für Fluren und Himmel ein, steigerte die anfangs fragenden „Wohin?“-Ausrufe zum affirmativen „Nur du!“ am Ende. Sehr getragen das Ständchen, zurückgefahren im Stimmvolumen, um die Atmosphäre „in des Mondes Licht“ nicht zu übertönen; stilgerecht imitierte Martineau am Flügel den Klang einer konzertierenden Mandoline. Pointiert, fast militärisch dann der Abschied von Stadt und Mägdelein; allargando, schon sezierend die Worte zur Sehnsucht In der Ferne, wie aus Felsen gemeißelt der Schmerz in Aufenthalt. Eine markante Einleitung von Martineau zu Kriegers Ahnung, aufflammende Sehnsucht und ein mildes, geradezu absterbendes „Gute Nacht“ im Gedanken an die Herzliebste.
Zusammen mit fünf weiteren Vertonungen seiner Gedichte stellten die beiden Künstler Johann Gabriel Seidls Taubenpost in eine eigene mittlere Gruppe. Das Liebchen als Augenstern, Wandern in Hain und Heimat: Krimmel faszinierte auch hier mit geheimnisvoll süßem Ausdruck oder vor Aufregung vibrierender Stimme, mit Malcolm Martineau als wachem, durchaus tonmalendem Begleiter.
Zärtlich kosend und mit leicht geführtem Tonansatz eines tenoralen Verführungsregisters warb Krimmel um das Fischermädchen. Kürzer, knapper sind nun die Texte von Heinrich Heine; Krimmel und Martineau modellierten sie zu Bühnendramen, in denen nahezu jedes Wort emphatisch „aufgeladen“ ist, den Hörer schier erdrückt, gerade auf diesem kleinsten Lied-Raum. Auch die bitterstolze Klage des unglückseligen Atlas am Ende färbte er mit dem Ausdruck von Grauen, deklamierte blendend Heines ätzende Ironie, in sich bis zum Fortissimo aufbäumender Verzweiflung.
Krimmels Stimme besticht durch virile, dunkle Färbung, ohne dass man Leichtigkeit in der Höhe vermisst; gleichzeitig ermöglicht sie bei voller Offenheit den kernigen Zugriff auf sonore tiefe Lagen. Dies war auch im entspannteren Zugaben-Teil zu bestaunen, bei der knappen Vertonung von Schwanengesang seines Freundes Johann Senn, Höltys poetischem An den Mond sowie Goethes zart seidigem Über allen Gipfeln ist Ruh.