Beim Eintreten wird mir sofort klar, warum es das Stammcafé von Patricia Nolz ist. Im Erdgeschoß eines klassischen Wiener Altbaus sind freigelegte Backsteinmauern, es erinnert an die Wiener Kaffeehauskultur und doch trinken wir Flat Whites und Lattes mit Hafermilch, aus dem Lautsprecher kommt Cindy Laupers Girls just wanna have fun. Es ist die ideale Mischung aus Alt und Neu, oder besser gesagt, ein ideales Beispiel, wie man Neues aus dem Geist des Alten heraus erschaffen kann. In der Oper, im Lied und im Leben von Patricia Nolz nicht ganz unwichtig… Eine Woche nach einer triumphalen Barbiere-Serie an der Wiener Staatsoper im Juni, treffe ich die junge niederösterreichische Mezzosopranistin, um mich mit ihr über ihre Zeit im Ensemble an der Staatsoper zu unterhalten, über das Ausloten von Grenzen bei Hosenrollen, ihre Leidenschaft für Lied und natürlich das wohl bekannteste Foto am Wiener Flughafen…

Patricia Nolz © Klara Leschanz
Patricia Nolz
© Klara Leschanz

Eines muss ich dich einfach fragen, was hat dir Kyle Ketelsen am Ende von „Là ci darem la mano” in Barrie Koskys Inszenierung von Don Giovanni ins Ohr geflüstert?

[Lacht] Das kann ich jetzt nicht verraten.

Nicht jugendfrei?

Tatsächlich jedes Mal etwas anderes. Am Anfang in den Proben kamen immer nur irgendwelche Geräusche bis ich dann bat "Kyle, help me out with something real!”.

Irgendwie muss der Gesichtsausdruck ja auch entstehen…

Von Barrie [Kosky] kam dann auch „Come on, say something dirty, Kyle, go for it!“ Und dann kamen da auch jedes Mal was neue Ideen, die den Gesichtsausdruck induziert haben. In den Proben kann ich mich gut erinnern, wie Barrie mir immer zurief „More! Mouth wider open, eyes wider open!” Irgendwann kam halt diese Grimasse raus. Wenn ich damals gewusst hätte, dass das Foto dann überall ist, auf den Lastwagen von ARTforART, wo die Bühnenbilder geliefert werden, am Flughafen... Es ist einfach sehr lustig.

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Kyle Ketelsen (Don Giovanni) und Patricia Nolz (Zerlina) in Barrie Koskys Don Giovanni
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Wie war generell die Zusammenarbeit mit Barrie Kosky?

Ich liebe diesen Menschen. Ich war ja damals bei Don Giovanni wirklich noch ein Bühnen-Baby. Ich war 25, noch im Opernstudio, und habe eben diese Chance bekommen. Natürlich sehr aufgeregt vor der Produktion, eigentlich vor jeder Probe. Ich war jeden Tag starstruck mit meinen berühmten Kolleg*innen und mit Barrie zu proben, aber bei uns hat es irgendwie von Anfang an geklickt… wir verstanden uns auf einer Wellenlänge. Er weiß genau, wie er aus mir rausholt, was er will und ich weiß, wie ich ihm etwas anbieten kann, woraus wiederum etwas entstehen kann. Es ist eine so befruchtende Zusammenarbeit.

Es ist ja dann auch gleich der Cherubino gekommen.

Genau. Da wurde wirklich alle Hemmung fallengelassen. Es gab ganze Proben, wo wir nur Geräusche geübt haben, die Cherubino von sich geben soll. So etwas vergisst man nicht. Das ist einfach... iconic. 

Es ist sicher eine der anstrengendsten Rollen, die ich jemals auf der Bühne gesehen habe. Cherubino springt, hüpft, dreht sich…

Ich bin immer sehr müde am Tag nach den Vorstellungen, weil ich als Cherubino die ganze Zeit hyperaktiv sein muss und so viel Energie reinpowere den gesamten Abend. Du kommst eigentlich immer auf die Bühne und brichst die Szene auf. Das heißt, bei jedem Auftritt musst du so [sie macht Windgeräusch] reinkommen. Es ist sehr spannend zu spüren, wie man bei einer Rolle, die eigentlich so viel kleiner als andere Hauptrollen ist in der reinen Bühnen- und Gesangszeit, trotzdem energetisch mindestens genauso viel geben muss.

Ich spüre bei mir immer, dass es keine Sparflamme gibt. Es gibt bei mir keine Handbremse und keine Light-Version. Es ist einfach immer all in. Ich kann nicht anders.

Das hat man gerade auch beim Barbiere gemerkt, wo die alte Inszenierung von Günther Rennert aus bekannten Gründen zurückkam. Wunderschön, aber sicherlich mit weniger Personenregie als in neueren Produktionen.

Ich habe es unglaublich genossen. Alle Castmitglieder hatten ihre Rollen schon zig mal zuvor gesungen, in unterschiedlichen Produktionen – es mussten eigentlich nur bestimmte Positionen und Fixpunkte geprobt werden. Aber das Ganze dazwischen mit Leben und mit Charakter befüllen, das durften wir improvisieren und einfach unseren Charakteren freien Lauf lassen. Die Chemie hat in der Besetzung einfach gestimmt. Wir haben uns durchgehend unterstützt, uns gegenseitig lustig gefunden und uns auf der Bühne noch mehr angestachelt. Fast alle Interaktionen waren aus dem Bauch heraus und es gab niemanden, der einfach sein Ding durchgezogen hat, sondern es alles war immer in der Energie der Gruppendynamik.

Wenn die Kostüme und das Bühnenbild ein bisschen verstaubt sind, dann muss das Spielen einfach passen.

Ich wollte diese Inszenierung immer mal unbedingt machen, weil ich sie natürlich von früher als Zuschauerin kannte. Sie ist eine von diesen Staatsoper-Inszenierungen, wo man einfach sagt, möchte man sie einmal gesehen haben, diesen alten Barbiere oder den Rosenkavalier, die Fledermaus, die Bohème. Und gerade als ich dann auf dem Weg dazu war, solche großen Rollen zu singen, wurde der Rennert Barbier abgesetzt. 

Als sich das Schicksals dann so gefügt hat, dass wir jetzt doch einmalig diese Inszenierung spielen durften, habe ich mich besonders darauf gefreut. Aber ich hätte mir trotzdem nie erwartet, dass ich bei so einer traditionellen Inszenierung, die wirklich hunderte Male gemacht wurde, und wo man merkt, dass auch das Bühnenbild und die Requisiten schon sehr in die Jahre gekommen sind, ich die Rolle der Rosina mit einem für komplett neuen Spirit füllen könnte. Ich wusste, es wird sicher lustig, aber für mich wurde es dann eine der schönsten Serien auf der Bühne, die ich überhaupt je erleben durfte. 

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Patricia Nolz (Rosina) in Il barbiere di Siviglia, inszeniert von Günther Rennert
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Hast du tolle Namen in den Kostümen gefunden? Wo du dir gedacht hast: „Ich kann nicht glauben, dass diese Mezzosopranistin in diesem Kostüm gesteckt hat, wo ich jetzt auch drinnen bin!“

Bei dieser Produktion tatsächlich nicht. Ich hatte eher neuere Kostüme, aber mein Kollege Stefan Astakhov, der den Figaro gesungen hat, der hatte zum Beispiel die Schuhe von Hermann Prey.

Bei Palestrina im Dezember hatte ich das Kostüm von Angelika Kirchschlager und bei der Fledermaus die Weste von Brigitte Fassbaender. Das ist an der Staatsoper schon unglaublich, wie nahe man dann oft dran ist, an den vergangenen Zeiten, an der Golden Age.

Wenn wir schon bei Palestrina und Orlofsky sind, lass uns doch über Hosenrollen sprechen. Gerade als junger Mezzo singt man natürlich einige am Anfang, und ich merke, es gibt momentan so etwas wie ein Ausloten der Grenzen. Wie männlich muss eine Hosenrolle tatsächlich sein? Du warst letzte Saison ja auch beim Figaro von Serebrennikov in Berlin dabei, wo es die Cherubina gab.

Das reizt mich total. Als ich in Wien in der Staatsoper meine ersten Produktionen machte, wollte ich natürlich erstmal entsprechen. Ich wollte abliefern, was gewünscht ist. Aber ich habe dann relativ bald gemerkt, auch bei Hosenrollen – und da haben Barrie und ich uns zu 100 % verstanden – dass es für mich eigentlich überhaupt nicht notwendig ist, so einen handwerklichen, männlichen Zugang zu finden, einen männlichen Gang oder männliche Körpersprache, was auch immer das heißen mag. Natürlich, eine Hosenrolle soll immer etwas Ambivalentes haben, finde ich. Aber diese Illusion, glaubhaft machen zu wollen, dass da wirklich ein Mann auf der Bühne steht, finde ich langweilig. Und es gibt sie in Wirklichkeit auch nicht, alleine schon wegen der Stimme.

Diesen Kontrast, diese Überraschungen, finde ich total interessant. Ich suche da überhaupt nicht danach, zu sagen: „Wie kann ich maximal so tun, als wäre ich ein Mann?“ Sondern mehr: „Wie kann ich den Charakter spüren, den Charakter echt verkörpern?“ Ohne große Gedanken über Mann-Frau, sondern einfach die Essenz. Zum Beispiel der Cherubino; es kommt sowieso automatisch eine gemischte Körperlichkeit heraus, weil er in seinem Wesen, in seiner Lebensphase komplett verwirrt und überfordert und überwältigt ist. Einerseits ist da das Weibliche, Weiche, das Poetische, er schreibt Lieder und er schreibt Gedichte, und andererseits ist da dieses „dauerhorny”-sein, sich zu allen möglichen Menschen hingezogen fühlen. Wenn ich mich da reinspüre und für mich den Zugang finde, ergibt sich eine Körperlichkeit, die hinausgeht über dieses „Ist es dies oder ist es das?“ Der Charakter entsteht einfach. Wer ist der Mensch, der da auf die Bühne kommen will?

Jetzt mal ganz zurück zum Anfang: Wie bist du eigentlich zur klassischen Musik und zur Oper gekommen?

Es ist immer lustig – das kennst du sicher auch – wenn man versucht, die Vergangenheit zu rekonstruieren, und sich rückblickend eine Timeline zusammenbaut, die es aber in dem Sinn eigentlich nicht gab. In dem Moment, wo man es lebt, gibt es da natürlich gar keinen roten Faden.

Der Ursprung von allen ist die Liebe zur Musik, die wirklich die große Liebe meines Lebens ist. Das kann ich nicht anders sagen. Soweit ich mich zurückerinnern kann, war es meine erste Leidenschaft, Obsession und was mich glücklich gemacht hat. Klassik gab es bei mir im Elternhaus überhaupt nicht, da gab es eher die Konfrontation mit der Musik durch Pop- und Musical-CDs, Blasmusik und die örtliche Landesmusikschule. Ich habe dort angefangen, Querflöte zu lernen und hatte das Glück, das gerade, als ich begann, eine junge Querflötenlehrerin kam, gerade in Wien mit dem Studium fertig – die Gerti Bachinger.

Sprühend vor Idealismus und vor Liebe zur Musik und Liebe zu Kindern! Ein unglaublich lieber Mensch, die genau weiß, wie sie das Interesse der Jungen entfachen kann, wie sie Kinder zum Üben bringen kann, ohne dass Druck dahinter ist. Sie war wirklich der Grundstein für meine Liebe zur klassischen Musik. Es dauert natürlich erstmal ein paar Jahre, bis man irgendwas Nennenswertes spielen kann, aber sie hat es geschafft, mich dafür zu begeistern.

So kam dann diese Leidenschaft und auch der innere Ehrgeiz, das gut können zu wollen, Technik üben zu wollen. Sie hat mich im Laufe der Jahre durch das komplette Repertoire gejagt, von Frühbarock bis Zeitgenössisch. Natürlich alles dazwischen, französische Romantik, Mozart, Bach, Telemann, alles. Parallel dazu war gleichzeitig immer die Liebe zum Singen da. Mein erster Berufswunsch war – wie für viele – Sängerin, aber ich wollte Musicalsängerin werden, weil meine Mama so ein Musical-Fan ist; bis heute. Seitdem ich mich zurückerinnern kann, lief im Auto tagein, tagaus die CD von Tanz der Vampire… „Oh, eines Tages will ich die Sarah singen!” Und so begann die Liebe zum Singen, dann die Liebe zur Klassik, der erste Gesangsunterricht und dann gabs eh kein Zurück mehr. 

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Patricia Nolz (Siébel) in Faust an der Wiener Staatsoper
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Du bist dann auch gleich 2020/21 ins neu gegründete Opernstudio der Wiener Staatsoper gekommen, und in der ersten Inszenierung der Saison, zack, Kate Pinkerton, rauf auf die Bühne. Ein ziemlicher Sprung ins kalte Wasser, oder?

Absolut. Du musst dir vorstellen, das war die Eröffnungspremiere der Ära Bogdan Roščić und der Beginn des Opernstudios überhaupt. Covid war natürlich auch ständig ein großes Thema. Der erste Arbeitstag war Ende August 2020, eine große Ansprache und dann das Konzeptionsgespräch. Roščić war auf der Bühne und wir alle im Zuschauerraum. Dann stellte er die ganze Besetzung vor: die Butterfly sang Asmik Grigorian. Und ich saß da mit 24 Jahren, dann soll ich aufstehen und mich vorstellen „Kate Pinkerton: Patricia Nolz”. Ich dachte, ich sterbe... Man hat jetzt natürlich keinen Durchbruch als Kate Pinkerton mit fünf Sätzen, aber als Hausdebüt und als professionelles Debüt in dieser Premiere besetzt zu sein, das war schon extrem intensiv. Ich hatte zu dem Zeitpunkt auch keine Ahnung davon gehabt, wie der Berufsalltag aussehen würde, dieses Leben von Probenplan zu Probenplan – man muss sich erst mal an diesen Lifestyle gewöhnen.
Ich bin sonst nicht die Person, die zu Hause Opernsouvenirs oder Memorabilia rumliegen hat, aber das Plakat von Madama Butterfly hängt bei mir im Vorhaus, weil es für mich der Beginn meines Lebens als Sängerin ist.

Du hast dann auch sehr schnell ins Ensemble der Staatsoper gewechselt. War das so der erste Moment, wo du gedacht hast: „Okay, es läuft richtig gut, das könnte was werden, was Großes“?

Das erste Mal, wo ich das Gefühl hatte „Vielleicht habe ich wirklich diesen Weg vor mir” war, als ich 2020 gefragt wurde, am Theater an der Wien als Cherubino einzuspringen. Danach wurde ich von der Staatsoper gefragt, ob ich in der Saison darauf auch hier den Cherubino machen möchte. Ich hätte mir nicht gedacht, dass es in meinem zweiten Jahr Openstudio passieren würde. Kurz darauf war das Vorsingen für Philippe Jordan für die Zerlina, für die Neuproduktion mit Barrie, das hat dann auch geklappt. Da hatte ich schon ein ganz gutes Gefühl von Rückenwind auf meinem Weg.  

Jetzt beginnt gerade die Phase, wo du aus dem gemachten Ensemble-Nest flüchtest. Hänsel an der Opéra national du Rhin, Octavian an der Staatsoper Berlin. Überwiegt die Vorfreude?

Ja, sehr. Ich würde nichts anders machen, als ich es gemacht habe, aber ich habe gespürt – es wird Zeit, die Flügel auszubreiten. Wien ist nach wie vor meine Basis und meine Heimat und die Staatsoper bleibt mein Heimathaus; aber es wurde Zeit, voll und ganz raus in die Welt zu gehen und jetzt mit 30 fühlt sich das sehr richtig an.

Deine andere große Leidenschaft ist das Lied. Was macht es für dich so besonders?

Lied ist für mich Freiheit. Man kann natürlich auch in der Oper seine Freiheiten finden, aber man bleibt immer ein kleiner Teil des Ganzen, weil so ein riesiger Apparat dahinter steckt auf der Bühne, im Orchestergraben, hinter der Bühne.

Ich kann dort nicht spontan alles selbst entscheiden – das ist auch nicht der Charakter von der Kunstform der Oper, und ich liebe es genauso, wie es ist. Lied ist für mich dagegen das Genre, wo ich vollkommen frei meine Gefühle, meine Leidenschaften zum Ausdruck bringen darf. Das beginnt beim Selbstkuratieren der Programme und reicht hin bis zu jeder musikalischen Entscheidung. 

Ich habe da glücklicherweise immer musikalische Partner wie Malcolm Martineau oder Andreas Fröschl an meiner Seite, zu denen ich ein tiefes Vertrauen habe und weiß, dass ich in jedem Moment auf der Bühne alles machen kann und aufgefangen werde. Das hat für mich eine unglaubliche Kraft und ein Potenzial an jedem Abend, was es sonst einfach nicht gibt. In jedem Liederabend steckt das Potenzial, sowohl als Zuhörerin and auch als Ausführende, dass alles anders als erwartet kommt. Ich werde auch oft von Malcolm überrascht, wenn er wieder ein Zwischenspiel ganz anders gestaltet, als ich es je gehört habe. Er wirft mir dann sozusagen den Ball hin und ich singe die nächste Phrase anders. Diese Variable, die da immer mitdrinsteckt, das ist für mich... Ich finde gar keine Worte dafür. Ich liebe es einfach. Es ist für mich das, was mich so enthusiastisch und so idealistisch für das Lied einstehen lässt. Man muss es in der heutigen Zeit oft verteidigen – das Lied wird ja noch lieber als die Oper zu Unrecht totgesagt, seit Jahrzehnten. Für mich kann ein Liederabend ein Thriller sein, eine RomCom, eine Katharsis, ein Bekenntnis. Ein Liederabend ist immer ein bisschen eine Wildcard. 

In der heutigen Zeit und gerade auch in meiner Generation finde ich so spannend, dass man in vielerlei Hinsicht eigentlich machen kann, was man will, weil man alles schon gesehen hat. Gleichzeitig ist die Gefahr groß, dass der Fokus nurmehr auf die Außenwirkung gelegt wird, auf die Likes, auf die Aufmerksamkeit. Mir ist im Liederabend das Wichtigste, etwas Echtes zu sagen und nie eine leere Hülle zu sein, die sich irgendwie inszeniert. Meine Erfahrung ist... wenn die Aussage echt ist, gibt es kein Too Much oder „das kann man so nicht machen“ – das ist dann Freiheit.

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Patricia Nolz
© Klara Leschanz

Das Schöne beim Liederabend ist für mich, dass man eine Verbindung aufbauen kann. In jedem Lied findet man Emotionen, Gefühle, die man selbst widerspiegelt.

100 Prozent! Beim Zusammenstellen meiner Programme suche ich natürlich nur Sachen aus, von denen ich weiß, dass ich eine Verbindung aufbauen kann und irgendwas von mir selbst finden kann. Ich bin so gar nicht der Typ dafür, eine erzählerische Distanz zu wahren. Ich habe den Anspruch, die Emotionen in dem Moment zu fühlen und in mir zu finden. Das kann man natürlich auf Knopfdruck auch nicht immer. Aber wenn man sich immer ehrlich auf die Suche begibt, dann wird auch immer irgendetwas Echtes dabei rauskommen. Manchmal schaut es anders aus, als man es sich wünscht – es war zwar echt, aber irgendwie rough around the edges. Aber das ist mir lieber, als etwas glatt Poliertes, wo nie ein Risiko eingegangen wird. 

Bist du so auch auf dein momentanes Programm gekommen mit Schumanns Frauenliebe und -leben?

Da bin ich auch wieder beim Stichwort „Das Lied ist totgesagt“. Dieser Zyklus ist es erst recht. Es wird gesagt, er sei nicht zeitgemäß... Ich glaube, niemand wird sich bei mir denken, dass ich mich als unterwürfige Frau präsentieren würde… [wir brechen beide in herzliches Gelächter aus]

Die Frau in diesem Liedzyklus, die das durchlebt, kann jede Frau sein. Jede Frau kann irgendwas davon in sich finden. Ich würde manche Sätze natürlich nicht eins zu eins so ausdrücken, aber Hallo, ich singe Gedichte hauptsächlich aus dem 19. Jahrhundert – ich würde kaum etwas in meinem Alltag so ausdrücken! Das ist der Sinn von Lyrik und Poesie.

Die Brücke zu sich selber zu schlagen, und dadurch zu den Zuhörer*innen – das ist für mich meine eigentliche Aufgabe als Liedsängerin. Frauenliebe und -leben war brandaktuell als es geschrieben wurde, und wird es in seiner Essenz für immer sein. Es geht um Liebe, Sehnsüchte und Trauer und das ist nichts, was jemals an Aktualität verliert.

Wo willst du noch hin? Künstlerisch, persönlich, gibt es Traumrollen, die du unbedingt mal singen möchtest?

Ich tue mir schwer, solche bestimmten Ziele, zum Beispiel Häuser, oder Rollen zu nennen. Für mich war es eigentlich immer schon so – seit dem Studium und ich möchte mir das auch beibehalten – dass ich sehr konzentriert war auf meine künstlerische Weiterentwicklung und weniger auf den äußeren Erfolg. Ich möchte jetzt natürlich nicht so tun, als spielte Erfolg und das Streben danach keine Rolle. Und natürlich ist man immer wieder versucht, sich zu vergleichen, gerade auch über Social Media, wo man ständig sieht, wer gerade  was macht. Aber ich schüttle das immer sofort so gut es geht ab. Ich wollte immer und möchte weiterhin aus Leidenschaft und aus Liebe zur Musik singen. Ich will nicht in die Falle tappen, mich nur über den äußeren Erfolg zu definieren.

Wenn ich merke, eigentlich fühle ich gerade nur Stress und keine Freude mehr am Singen, dann weiß ich sofort – es ist Zeit zu meditieren. In solchen Momenten verliere ich die Freude und Motivation und merke, dass ich gerade total darauf fixiert bin, allerlei Erwartungen zu erfüllen. Klar, manchmal geht es auch nicht anders – es wäre vermessen zu sagen, Erwartungen, die es zu erfüllen gilt, existierten nicht. Aber für mich ist es extrem wichtig für meine Balance, mich immer aufs Neue in mein inneres Zentrum zurückzuholen. 

Ich bin unglaublich dankbar dafür, an so tollen Orten zu singen. Es sind trotzdem alles Äußerlichkeiten am Ende des Tages. Die Liebe zur Musik ist immer die Liebe zur Musik. Ich möchte nicht den inneren Bezug zur Berufung verlieren, und, wenn ich das jetzt so dramatisch sagen darf, zu dem Gefühl, dass das Leben als Sängerin mein großer Traum war und immer noch ist. Ich hatte auch wirklich sehr viel Glück in meinem Leben und viele Unterstützer*innen. Aber meiner Erfahrung nach trifft man die richtigen Menschen, wenn man mit sich selbst im Reinen ist und die Dinge aus einer aufrichtigen Motivation heraus macht. Äußere Ziele… Ich finde die inneren viel schöner.