Neustart im Zeichen der Kontinuität: Mit dem Konzert vom Mittwoch begann die 158. Saison der Tonhalle-Gesellschaft Zürich, das zwölfte Amtsjahr der Intendantin Ilona Schmiel und das siebente Amtsjahr von Music Director Paavo Järvi. Erst seit einem halben Jahr im Boot sitzt Hedy Graber, die Martin Vollenwyder im Präsidium der Tonhalle-Gesellschaft abgelöst hat. Kontinuität herrscht auch programmatisch durch die Weiterführung der jährlich wechselnden Positionen eines Creative Chair und eines Fokus-Künstlers. In der Saison 2025/26 sind dies der britische Komponist, Dirigent und Pianist Thomas Adès sowie die in der Schweiz lebende Cellistin Sol Gabetta.

Das Eröffnungskonzert im Großen Tonhalle-Saal brachte nicht nur das Wiedersehen nach der Sommerpause mit dem Chefdirigenten und seinem Orchester, sondern präsentierte gleich auch den Creative Chair und die Fokus-Künstlerin. Bei Dawn, einem Orchesterstück von nur neun Minuten Dauer, handelt es sich gewiss nicht um die repräsentativste Komposition von Adès, aber als Appetizer für kommende Programme funktionierte sie ganz gut. Das Stück schildert einen Sonnenaufgang, indem ein einprägsames Thema nach dem Muster von Ravels Boléro vom Pianissimo bis zum Fortissimo kontinuierlich gesteigert wird. Järvi entlockte dem Tonhalle-Orchester eine ganz auf Effekt ausgerichtete Interpretation des gefälligen Stücks.
In völlig andere ästhetische Welten führte anschließend das Cellokonzert Nr. 2 g-Moll, Op.126 von Dmitri Schostakowitsch. 1966 zu seinem eigenen Geburtstag komponiert und von Mstislaw Rostropowitsch uraufgeführt, malt das Werk das Porträt eines Komponisten, der überhaupt nicht in Festlaune war. Der stalinistische Terror war zwar seit dreizehn Jahren zu Ende, hatte aber in Schostakowitschs Seele unauslöschliche Spuren hinterlassen. Disharmonisch, schräg, verfremdet, widerborstig heißen die Attribute, die einem beim Hören in den Sinn kommen. Dass Gabetta sich als Solistin für dieses „undankbare“ Konzert engagieren ließ, ist ihr hoch anzurechnen. Andererseits ist es für eine Ausnahmekünstlerin wie sie auch attraktiv, nicht immer nur die Cellokonzerte von Haydn, Schumann, Dvořák oder Elgar spielen zu müssen.
Die Solistin und der Dirigent waren sich darin einig, den verstörenden und disparaten Charakter des Werks nach Kräften herauszustreichen, und selbstredend folgte auch das Tonhalle-Orchester dieser Deutung mit Engagement. Im ersten Satz fand dementsprechend ein veritabler Kampf zwischen Solo und Tutti statt, der jegliche Harmonie im Keim erstickte. Sprechender Ausdruck dafür war etwa die Solokadenz, die von der Großen Trommel buchstäblich niedergeschlagen wurde. Kampf auch im zweiten Satz, einem Scherzo, bei dem Gabetta schon fast verbissen die „lustigen“ Seiten akzentuierte, während das Orchester auch hier mit diversen Störaktionen aufwartete. In zwei verschiedenen Welten bewegten sich die Antagonisten ebenso im Finale: Einer schrillen Fanfare des Blechs antwortete die Solistin mit einer Solopassage, die nostalgisch mit einer lieblichen Melodiefloskel inklusive konventionellem Triller auf dem zweitletzten Ton endet.
Dass nach der Pause Rachmaninows Symphonie Nr. 2 e-Moll, Op.27 folgte, war eine geschickte Kombination des Music Director. Wieder ein Russe, aber ein Vorrevolutionärer, und eine Komposition, die dem Geist des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist. Die 1908 in St, Petersburg uraufgeführte Symphonie erinnert an Tschaikowsky und auch ein bisschen an den frühen Sibelius. Nach dem schwer zugänglichen Schostakowitsch nun also eine romantische Schwarte, deren Melodien man auch auf dem Heimweg noch nachpfeifen konnte.
Und die Interpretation? Dass Järvi die Werke Rachmaninows liebt, weiß man schon lange, und dass er gerne mit der großen Kelle anrührt, ist auch bekannt. In der Summe ergab sich eine Deutung, die in ihrem romantischen Gestus, in der Freude an klanglichen Gegensätzen, am Baden in den verschiedenen Gefühlswelten kaum zu überbieten war. Das Tonhalle-Orchester, sichtbar begeistert über diese Lesart, wuchs über sich hinaus und überzeugte mit einer fulminanten Darbietung. Die leise Frage zum Schluss dennoch: Muss das Romantische des Werks wirklich derart ausgeschlachtet werden, das Sentimentale derart kitschig und das Spektakuläre derart plakativ dargestellt werden?