Weltweit einmalig widmet das Internationale Brucknerfest Linz seiner namens- und erinnerungsstiftenden heimischen Komponistengröße zum Gedenken an dessen 200. Geburtstag einen guten Schuss Originalität und Originales. Schließlich heckten die Macher um Programmplaner Schmitz, Intendant Kerschbaum und Chefdirigent Poschner die Unternehmung aus, erstmals alle Symphonien Bruckners im sogenannten Originalklang ertönen zu lassen. Das bedeutete, die Orchester der historischen Aufführungspraxis Europas zusammenzutrommeln, sich nicht nur die auch von Klangkörpern auf modernem Instrumentarium und „klassischer“ Musizierpraxis ausgesuchten Urfassungen recherchierend und besetzungspraktisch zur Brust zu nehmen, sondern vor allem authentischer auszugestalten. Abseits aller artikulations- und phrasierungstechnischen, teils auch tempomäßigen Individualitäten natürlich grundbedürftig mit Darmsaiten bei den Streichern, Wiener Holz- und Blechexemplaren bei den Bläsern, epochengetreuer Bespannung von Pauken und Schlägeln sowie tieferer Stimmung und – selbst wenn es wohl einen Ausreißer geben wird – in antiphoner Orchesteraufstellung.

Philippe Herreweghe © Oliver Erenyi
Philippe Herreweghe
© Oliver Erenyi

War Bruckner dahingehend bis jetzt so etwas wie eine fast unentdeckte Insel, hatte eben einer bereits seit geraumer Zeit Hand und Fuß in den Sand dieses Eilands gesteckt: Philippe Herreweghe. Kein Wunder, dass ihm mit seinem Orchestre des Champs-Élysées daher die Ehre gebührte, die Originalklangreihe des Brucknerfests mit zehn seiner nachkommend eingeladenen Kollegen zu eröffnen. Doch der Außergewöhnlichkeit nicht genug, machte Gunar Letzbor mit seinem – brucknerhauseigenen – Ensemble Ars Antiqua Austria quasi als „Vorband“ innerhalb Herreweghes Konzert mit der Achten den wirklichen Auftakt, als er entsprechend ganz anderes, weiter zumeist mit Authentischerem verbundenes, die Vorzeit aufgreifendes Instrumenten-, Stimmungs- und Spielweisenwelt verlangendes Battalia-Schlachtengemälde Bibers voranstellte. Dem barocken Tonbildnis, das mitunter durch allerhand Anweisungen seiner Welt voraus, größtbesetzte Schlachtensuite im malenden Ballettostil war und Programmmacher Schmitz genialerweise für darüber hinaus atmosphärische Überschneidungen zu Bruckner im Kopf hatte.

Dabei „rutschte Letzbor das Herz zunächst in die Hose“, als er von der Programmierung erfuhr, wie er bei seiner einzigartigen Anmoderation Bibers Werks preisgab. Jenes, das nun einmal mit Streichern aus Geigen, Bratschen und Violonen sowie zupfigem Generalbass von Cembalo und Lauten (Letzbor verkündete mit drei Lautenisten um Hubert Hoffmann die Weltpremiere des „Salzburger Lautenensembles“) Trompeten, Militärtrommel, schlagende Degen und Kanonenschüsse imitiert. Bei denen ließen sich Violinprimus Letzbor und Ensemble nicht lumpen, die von Biber vorgeschriebenen Effekte zünftig, derb, reißend, körnig und knackig, mit dem „Mars“-Kriegstanz wie mit stampfenden Wadln in die Tat umzusetzen. Zugleich boten sie einen erheblich artikulatorischen, insgesamt weniger tempogestützten Kontrast, indem die kriegsnachdenklichen Schattenseiten mit feiner und, besonders beim finalen „Lamento der verwundten Musquetirer“, mit tief-einschneidender Besinnungsgabe versehen wurden. Dass Ars Antiqua Austria so gut im Stoff lag, hatte auch damit zu tun, tags zuvor eine CD mit diesem Stück aufgenommen zu haben.

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Philippe Herreweghe dirigiert das Orchestre des Champs-Élysées
© Oliver Erenyi

Bestens aufgelegt war ebenfalls Herreweghe, der dem Schicksalshaften und gegen die Zeitzwänge Interrogativen Bruckners bläsergewaltiger Achter bei aller zu erwartenden und erfüllten Grundschlankheit dieses damaligen Orchestermammuts trotz ab und zu für seine Verhältnisse stärkeren Streichervibratos eine kriegerisch-kämpferische Markanz entlockte, um Zuversicht und besänftig-ankersetzende Kraft zum Vorschein zu bringen. Und das, obwohl Herreweghes gleichsam verlässliche, streng rhythmische, dynamisch durchwirkte Kontrolle manch historisch-musikalisch organischeres Laufenlassen des OCE zum noch überwältigenderen Behaupten gegen Widrigkeiten bremste. Im ersten Satz führte das zum Einhauen einer störrischen Bruckner-Kante, im Scherzo-Teil des Zweiten zu erdig-rau, aufreibend-kratzbürstigen Anmärschen der Streichertruppen, zu denen, wie Mündungsfeuer, einzelne Deckenspots unter der Empore aufblitzten. Sie blinkten auch wieder zur Schlusscoda des beinahe Indiana-Jones-mäßigen, jedenfalls feierlich-romantischen, wissenschaftlich-entdeckerfreudigen vierten, nachdem der doch ziemlich langsame dritte mit den hervorragenden Farben von authentischen Hörnern, Wagnertuben, Zugposaunen (ab Achter in Wien vorrätig), Hölzern, Harfen und warmen Streichern zu einem konzilianten Seelenheim wurde. In Bruckners Heimat hatte dies einen doppelt zu Herzen gehenden Effekt.

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