Salieris Così fan tutte blieb unvollendet, angeblich fand er das Libretto nicht der Vertonung wert. Was Mozart aus Da Pontes Libretto gemacht hat, ist heute noch interessant, doch bleibt diese Verkleidungs- und Verführungsgeschichte vom Wesen her eine Operettenhandlung, auch wenn man darin psychologisch tief schürfen kann. Ein Glücksfall daher, dass die Wiener Staatsoper für die szenische Umsetzung Barrie Kosky gewonnen hat, der auf viel Erfahrung mit Operetten und Komödien zurückblicken kann.
Seine Idee, Così als Theater auf dem Theater auf dem Theater zu bringen, ist nicht neu, das kennt man auch aus der Volksoper Wien. Allerdings wird bei ihm eine nicht näher definierte Oper an einem Provinztheater geprobt, wo Regisseur Don Alfonso zwei junge Paare mit seiner Brutal-Version von method acting herausfordert. Nachdem Koskys Don Alfonso nicht mehr jung, aber ebenso narzisstisch wie zynisch ist, darf man fantasieren, dass er vielleicht aufgrund von Fehlverhalten an großen Häusern in der Provinz gelandet ist. Im Frust über seinen Abstieg auf der Karriereleiter terrorisiert er nun die Jugend mit psychologischen Experimenten, getarnt als Theaterprobe.
Und statt selbst junge Schauspielerinnen oder Sängerinnen anzubaggern, lässt er nun verführen: Die verliebten Paare Fiordiligi/Guglielmo und Dorabella/Ferrando werden mit einer Treueprobe herausgefordert, bei welcher die Herren die Dame des jeweils anderen verführen soll. In einer Intrigen-Show aus fake news, Frechheit und Verkleidung soll auch gleich das misogyne Klischee bewiesen werden, dass Frauen zur Treue nicht fähig sind, wie es schon im Titel durchklingt.
Koskys rasante Personenregie ist sein Markenzeichen, doch hat er sich dabei mit dieser Così selbst übertroffen. Er lässt eine von Ausstatter Gianluca Falaschi entworfene Drehbühne bespielen, welches die Bühnenvorder- und Rückseite des erwähnten Theaters zeigt, und jede Bewegung, jede Position ist gut durchdacht: Wenn im zweiten Akt die Feuerleiter gezeigt wird und die Verliebten am Gerüst auf und abgehen, dann ist das eine gelungene Metapher für den Ausweg, den sie (vergeblich) aus der vertrackten Situation suchen, die mit der ersten Verführung entsteht. Warum letztere gelingt, und ob vorgetäuschte Gefühle echt werden können, kann mit der alten Weisheit beantwortet werden, dass die Energie der Aufmerksamkeit folgt, und natürlich setzt jedes Wollen, jeder Erfolg oder auch jede Niederlage weitere Energien, weitere Konsequenzen frei.
Doch bei aller Ernsthaftigkeit, mit der Kosky das Zerfallen aller Gewissheiten und Erwartungen zeigt (bei der von Don Alfonso und Despina inszenierten Hochzeit der „Treulosen“ mit den „Fremden“, von denen sie verführt wurden, herrscht Trauerstimmung), kommt bei ihm der Humor nicht zu kurz, ganz im Gegenteil: Wenn sich die Verführer im ersten Akt zwecks Ausnutzung des Mitleidseffekts der Damen vergiften, zappeln sie wie Fische auf dem Trockenen, und die darauffolgende Quacksalberkur sucht auch ihresgleichen. Sogar die Kostüme haben Humor, denn abseits der zeitgenössischen Alltagskluft tragen auch die Herren Rokokokleid mit Korsett, das bei fallender Bekleidung und fortschreitenden Zärtlichkeiten für gute Figur sorgt.
Ferrando wird von dem an einer hartnäckigen Luftröhrenentzündung laborierenden Filipe Manu gespielt, während Ben Bliss im Orchestergraben den Gesangspart übernahm. Was für ein aufregendes Hausdebüt für – nicht nur für ihn, sondern auch für das Publikum. Trotz der ungünstigen Position war sein idealtypischer Mozarttenor auch in den Ensembles gut hörbar. Die Nagelprobe „Un‘aura amorosa“ gelang bestens und wurde zu Recht heftig beklatscht. Als Guglielmo gefiel Peter Kellner mit agilem Bariton und beherztem Schauspiel wie bereits als Figaro. Den reifen Gegenpol bildete Christopher Maltman mit einer hintergründigen und doch aalglatten Darstellung des Don Alfonso. Gesanglich können ihm ohnehin nicht viele das Wasser reichen.

Despina ist in Koskys Theater Mädchen für alles und muss Staubsauger wie Akkuschrauber bedienen. Kate Lindsey zeichnet sie gewohnt überzeugend als junge Frau, deren wohl geringes Salär sie zu Don Alfonsos Helfershelferin macht, zumal sie kein Kind von Traurigkeit ist und die Schwestern Fiordiligi und Dorabella mit vulgären Gesten auch ein wenig herausfordert.
Gesanglich liegt ihr die Rolle ausgezeichnet, jedenfalls klang ihre Stimme runder und frischer als der Charaktermezzo von Emily d’Angelo als Dorabella, welche eher mit ihrer burschikosen Bühnenpräsenz imponierte. Als Fiordiligi überzeugte Federica Lombardi, auch wenn sie diese Partie nicht immer so mühelos perfekt singt, wie man es von ihr gewohnt ist. Für die leidenschaftliche Beschwörung ihrer Treue „Come scoglio“ erhielt sie jedenfalls Szenenapplaus, und auch darstellerisch machte sie beste Figur.
Philippe Jordan dirigierte vom Hammerklavier aus; dass die Rezitativbegleitung in Così damit zur Chefsache wird, tut dem Werk gut, denn hier erweist sich Jordan als Meister mit viel Sinn für Nuancen, was auch mit Koskys akribischer Regie bestens zusammenpasst. Auch das Staatsopernorchester reflektierte die spannungsgeladene Bühnenatmosphäre, um im nächsten Moment wieder spöttische Heiterkeit zu verbreiten. Minimale Abweichungen verbucht man als „live is life“. Hauptsache, man nimmt das Leben, sich selbst und die Mitmenschen mit Humor. So unterhaltsam ist dieses Werk selten.