Zwischen zwei Konzerten in der Münchner Isarphilharmonie: auf Europa-Tournee sind Semyon Bychkov und die Tschechische Philharmonie prominente Gäste in der Heinrich-Lades-Halle im fränkischen Erlangen, führten mit drei seiner melodisch elektrisierenden Orchesterwerke in die farbenreiche, unverwechselbare Klangwelt des Antonín Dvořák, dessen Todestag heuer auch noch 120 Jahre zurückliegt. Gegen den anfänglichen Widerstand des Vaters, der im Heimatdorf Metzgerei und Gastwirtschaft betrieb, hatte er in Prag als Organist und Bratscher Musik studiert, 1891 sogar in New York das Amt des Direktors am Nationalkonservatorium übernommen. Ruhm und Welterfolg ebbten nicht ab, als er drei Jahre später wieder nach Prag zurückkehrte.

Beim Gründungskonzert der Tschechischen Philharmonie am 4. Januar 1896 im berühmten Prager Rudolfinum stand Antonín Dvořák selbst am Pult, dirigierte an diesem Abend ausschließlich eigene Werke. Wie seit 1924 alle zehn Jahre wird auch 2024 wieder als „Jahr der tschechischen Musik“ begangen, denn viele große Komponisten wie Smetana, Dvořák, Janáček oder Suk haben eine Vier am Ende ihres Geburts- oder Todesjahres. Bychkov, Chefdirigent der Philharmoniker seit sechs Jahren und demnächst zu Tristan und Isolde im Bayreuther Orchestergraben, hat die Musik von Dvořák in den Mittelpunkt der Programme dieser Jubiläumssaison gestellt.
Aus dem Schatten der beliebten späten Symphonien haben seine Konzertouvertüren eigenartigerweise nicht heraustreten können. Einen kleinen Zyklus, anfangs Natur, Leben und Liebe überschrieben, hatte Dvořák nach einem Besuch von Verdis Otello verfasst, später die Teile mit griffigeren Titeln In der Natur, Karneval und als Opus 93 Othello eigenständig drucken lassen. Ungewöhnlich für den Komponisten der Slawischen Tänze ist der choralartig düstere, später leidenschaftliche erste Teil, der nach Liszt klingt, im außermusikalischen Programm Othello und Desdemona und die Wonne ihrer Umarmung charakterisieren soll. Bychkov fächerte mit den Philharmonikern die Palette von Klangfarben, die sogar Englischhorn, Harfe und Becken einbezieht, detailliert auf; in der Reprise wurde der wütende Othello in fast greifbarem Realismus porträtiert, stürmisch bewegt die Ermordung Desdemonas und der finale Selbstmord Othellos mit zackigen Schlagzeug- und Bläsersalven ausgemalt.
Als letzte seiner amerikanischen Arbeiten vollendete Dvořák sein Cellokonzert h-moll, Op.04. Der Grundton des Werkes ist eher melancholisch, voll tiefer Kontemplation. Und es zeigt bereits in der langen Einleitung eine starke Präsenz des wiederum reichlich besetzten Orchesters, das beide Hauptthemen vorstellt und offenbar gleichwertiger Partner des Cellosolisten werden soll. Semyon Bychkov hatte viel zu tun, das spielfreudige Orchester bei den solistischen Einsätzen des Violoncellos zurückzuhalten; der erst 33-jährige Pablo Ferrández, 2015 Preisträger des Tschaikowsky-Wettbewerbs sowie Student der Kronberg Academy und Stipendiat der Anne-Sophie Mutter Stiftung, entfachte hier mit kraftvoll saftigem Strich romantisches Feuer und ließ zugleich die Brüche und Kontraste hörbar werden, die in diesem Werk so dicht benachbart sind. Ganz herrlich seine Stimme der Sehnsucht und aufquellender Lyrik im Adagio, in dem Dvořák innig ein eigenes Lied zitiert, damals in Sorge um eine schwer erkrankte, befreundete Sängerin.
Das effektvolle Rondo, zu dem Ferrández den Auftakt gab, breitete nochmals die gefühlvollen Details böhmischer Stimmungsbilder aus, die im fein gesponnenen Dialog mit dem Konzertmeister aufleuchteten. Sie zeigten seine Reife im Gedanklichem und ein verblüffend spieltechnisches wie souverän eingesetztes Gestaltungsvermögen. Einen besseren orchestralen Klangkörper für diese melodienreiche Musik hätte man gar nicht wünschen können: mit stupender rhythmischer Schärfe beschlossen Bychkov und die Tschechische Philharmonie das Finale stürmisch im tutti fortissimo.
Auch Dvořáks Siebte Symphonie d-moll, Op.70 hat es im Konzertsaal schwer, neben dem optimistischen Aufschwung anderer Orchesterwerke zu bestehen. Dabei zeigt der Komponist, damals in enger Freundschaft und gewisser Konkurrenz zu Brahms, welch anspruchsvoller Symphoniker in ihm steckt, abseits vom Klischee des slawischen Melodienschreibers. Die Strukturdichte, düsteres Vorwärtsdrängen, die trotzige Grundstimmung des Werkes ließen Bychkov und sein Orchester schon im Allegro maestoso ungeschönt erleben; strikte polyphone Durchhörbarkeit neben rhythmischer Finesse waren da beeindruckend zu verfolgen. Volkstümliche Einfärbungen lugten erst im Scherzo durch die Notenlinien; und die dichte Blechbläser-Besetzung, unter anderem mit drei Posaunen, spielte Bychkov in der finalen Coda zu Streicherwogen und Holzbläser-Charme eindrucksvoll gestaffelt aus.