Die Festwochen holten Hanekes letztjährigen Madrider Sensationserfolg für drei Vorstellungen ins Haus an der Wien und ließen die Wiener die „Schmach“ vergessen, dass der damals frischgebackener Oscar-Preisträger diese Così nicht zuerst „daheim“ inszenierte. Man stürmte den Vorverkauf oder stellte sich fünf Stunden für Stehplätze an und war allgemein begeistert. Tatsächlich und ganz ohne Ironie: Was man zu sehen bekam, war der Inbegriff des vielstrapazierten Vergleichs vom großen Kino.
In erbarmungsloser Nahaufnahme, mit  Pausen, die  oft mehr aussagen als das Wort, erhalten Mozarts und da  Pontes Figuren  ein scharfes Profil mit so manchem Schlagschatten darauf.  Hanekes  Fiordiligi ist nicht das übliche kaprizierte Prinzesschen und  Dorabella  ganz bestimmt kein Dummchen; Guglielmo entwickelt nur spät den  Macho  in sich und Ferrando ist eigentlich ein Frauenversteher, der erst  durch  seine Niederlage die Energie aufbringt, seinen Freund Guglielmo  zu  demütigen. Don Alfonso erfährt hingegen keine Wandlung und zieht  seine  Komödie/Tragödie bis zum bitteren Ende durch – ein kühl  überlegender  Drahtzieher, der zur Demonstration seiner eigenen  Überzeugungen das  Leben von vier jungen Leuten mutwillig zerstört und  dabei so viel  schlechtes Gewissen entwickelt wie Ford Coppolas Pate. Das  Hausmädchen  Despina, das es bei Haneke zu Don Alfonsos Ehefrau gebracht  hat, redet  den unerfahrenen Mädchen zwar die freie Liebe und den Mut  zur gewagten  Entscheidungen (letztlich erfolgreich) ein, ist aber selbst  unfrei:  Finanziell an ihren Mann gekettet, ist ihr die teils passive,  teils  offene Aggressivität jener eigen, die keine Alternativen und auch  nicht  viel zu verlieren haben. Als seine Komplizin erinnert sie an Loge,   dessen Scharfsinn gepaart mit der Lust am Zündeln letztendlich eine   ganze Welt verbrennt.
Mit dieser Personenregie, die werktreu   (wenn auch in der weiten Fassung des Begriffs) und eigentlich   konventionell bleibt, wird die seichte Komödie mit der abstrusen   Handlung, als die Così fan tutte gemeinhin bekannt ist, zu   einem hintergründigen, gewitzten Kammerspiel, das letztendlich noch mehr   Fragen aufwirft, als der Regisseur in der Werbung zu dieser   Inszenierung dem Publikum mitgibt. Aber natürlich hat Haneke auch   Antworten, sogar auf einige Fragen, die er nicht explizit formuliert   hat. Allerdings ist keine davon eindeutig, denn er ist sich der   Komplexität der menschlichen Seele nur zu bewusst, als dass er seine   Zuschauer mit vorgefertigten Erkenntnissen zu belehren versucht. Eine   Deutung dessen, was beispielsweise sein Schwesternduo antreibt, ist die   Verliebtheit in die Verliebtheit selbst, sodass die Objekte der  Begierde  sehr schnell austauschbar werden – mit fortschreitendem Abend  und  steigendem Alkoholspiegel werden dann auch der Geist schwach und  das  Fleisch willig.
Da bedarf es keiner   aufwändigen Verkleidung der jungen Herren, um Fiordiligi und Dorabella   in die Irre zu führen: Wer glaubt, was er glauben will, dem kommt es   auch nicht seltsam vor, dass der Geliebte in einer Rokoko-Uniform in den   Krieg zieht, und erkennt ihn auch dann nicht, wenn er seine Krawatte   als Kopfputz trägt. Man kann das sogar als Bild für die unterschwellige   Kritik am Zeitalter der Aufklärung sehen, welche sich durch das Werk   zieht: Wenn man sich alles zurechtargumentieren kann, ist dann auch   alles erlaubt? Bei Mozart und da Ponte, beide keine Kinder von   Traurigkeit, kann man doch Zweifel sehen: Wer sich seine eigene Moral   zimmert, wird mit den Konsequenzen leben müssen, und das voraussichtlich   nicht gut; da täuscht auch das vordergründig fröhliche C-Dur-Finale   nicht darüber hinweg.
Leider entsprach die musikalische Seite bei der hier besprochenen   letzten Vorstellung nicht ganz der Qualität von Regie und Optik   (Christoph Kanter entwarf ein weitläufiges Landhaus mit überdachter   Terrasse, Moidele Bickel aktuell Modisches sowie Rokoko-Kostüme).   Sylvain Cambrelings Dirigat fiel durch präzises Timing der Geschehnisse   in Bühne und Graben auf, ließ jedoch (allerdings passend zur   tiefsinnigen Inszenierung) ein wenig von Mozarts süßer Leichtigkeit   vermissen. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen war   speziell bei der Ouvertüre nicht auf der Höhe dessen, was sie sonst   hoffentlich leisten kann, steigerte sich aber im Laufe des Abends ebenso   wie die Sängerinnen und Sänger, die im ersten Akt eher angestrengt   klangen; das hatte wohl auch damit zu tun, dass drei Vorstellungen in   vier Tagen zu bewältigen waren und die letzten beiden unmittelbar   aufeinander folgten. Die gefälligste Leistung bot Andreas Wolf als   Guglielmo, während sich Juan Francisco Gatell als Ferrando mit „Un’aura   amorosa“ reichlich abmühte. Bei William Shimells Don Alfonso geriet das   Parlando aufregender als die passable Gesangsleistung; Kerstin Avemos   als Despina beeindruckte mit ihrem Schauspiel (das gilt übrigens für   alle Beteiligten), war aber ansonsten eine Fehlbesetzung. Als Dorabella   und Fiordiligi lieferten Paola Gardina und Anett Fritsch ordentliche   Leistungen, wobei letztere für „Per pietà, ben mio“ den einzigen   Szenenapplaus des zum Schluss umso heftiger beklatschten Abends erhielt.   Eine spezielle Erwähnung verdienen schließlich die Madrider Gäste  (Chor  und Schauspieler), die ihre Aufgaben mehr als zufriedenstellend   erfüllten.
Alles in allem war diese Così ein Beispiel dafür, dass es keine Perfektion braucht, um einen unvergesslichen Abend zu gestalten.

 
