Bei Lorenzo Fiorinis Neuinszenierung von Cavalleria rusticana und Pagliacci an der Oper Graz musste man sich am Ende leider die Frage stellen: Wie sehr muss man einer Geschichte und ihrer inneren Dramaturgie misstrauen, um sie szenisch so kompromisslos niederzumetzeln? Der Regisseur schien viele Ideen aus seiner wirklich gelungenen Griechischen Passion einfach nochmal über ein Werk stülpen zu wollen – so dürfen Müllberge, ein überdimensionaler Gott und vermeintlich tiefsinnige Videos bei Ruggero Leoncavallos Pagliacci nicht fehlen – doch die Regie lenkt von der Musik ab und ist großteils am Text vorbei inszeniert.

Zu Beginn turnt minutenlang zum Rauschen eines Sturms ein Clown auf der Bühne herum – nein, die Reihenfolge von Cavalleria rusticana und Pagliacci wurde nicht getauscht – bevor Pietro Mascagnis Musik erklingt. Das Rauschen und der Clown bleiben jedoch omnipräsent; während der Chor etwa das wunderbare „Regina Coeli” singt, bleibt er mit seinem Finger in einer Weinflasche stecken und der sich vom Schnürboden herabsinkende Gott tut sein übriges dazu, dass diese Szene zur Parodie verkommt. Die Charaktere werden zu blassen Schablonen, mit denen man weder mitfiebern noch mitleiden wollte und triviale Wortmeldungen des Chores ("Als ich klein war ist mein Wellensittich weggeflogen" oder "Meine Schwester heiratet und ich mag nicht hingehen") irritieren während des Intermezzos; genau genommen während des ersten Intermezzos, denn dieses wird zweimal dargeboten – einmal mit und einmal ohne Geschwafel.

Gleich nach der Pause wird der Clown übrigens ermordet, was zwar aus meiner Sicht nicht viel Sinn ergibt, aber auch kein Schaden für die Inszenierung ist. Die Personenführung ist im zweiten Teil einen Hauch präziser, dennoch stört vor allem die permanente Reizüberflutung. Wie gerne hätte man einfach das orchestrale Zwischenspiel genossen, in dem Oksana Lyniv und die Grazer Philharmoniker alle emotionalen Register zogen, anstatt währenddessen auf einer großen Leinwand den Chor beim Kampf um die besten Sitzplätze im Kino zu beobachten. Doch genug von den Regiemätzchen, denn über die musikalischen Aspekte des Abends gibt es weitaus Positiveres zu berichten.

Die fordernde Doppelrolle des Turiddu und Canio meisterte Aldo Di Toro nicht nur, er machte sie sich vokal zu eigen und glänzte in beiden Opern. Seine Stimme ist warm und dunkel timbriert und verfügt über einen metallischen Kern, der ihm mühelose dramatische Ausbrüche voll Strahlkraft ermöglichte. Dabei sparte er auch nicht am schluchzenden Pathos, etwa wenn Turiddu von seiner Mamma Abschied nimmt oder Canio sich selbst bemitleidet. Ebenfalls beiden Werken seinen Stempel aufdrücken konnte Audun Iversen als Alfio und Tonio. In seiner Auftrittsarie in der Cavalleria verband er virile Kraft mit stimmlicher Schönheit und ließ dann im Prolog zu Pagliacci seinen Bariton weich strömen und legte eine so bestechende Wahrhaftigkeit in die Gestaltung, dass man sich wünschte, der Prolog möge ewig dauern.

Und auch die Protagonistinnen waren sehr gut besetzt, obwohl sie beide in der Darstellung – wohl auch der Regie geschuldet – blass blieben. Ezgi Kutlu ließ als Santuzza einen ebenmäßigen Mezzosopran hören, der sowohl über eine profunde Tiefe als auch über eine ordentliche Höhe verfügt, allerdings im Piani zu einem breiten Vibrato neigt. Ihre stärksten Momente hatte sie in der leidenschaftlichen Konfrontation mit Turiddu, dessen Ostern sie nachdrücklich verfluchte. Der Nedda lieh Aurelia Florian ihren markant timbrierten Sopran, der bei „Stridono lassù“ zwar noch einige Schärfen bei den Spitzentönen hören ließ, danach aber immer besser in Fahrt kam und lyrisch durch die Partie floss. Die kleine Rolle der Lola nutzte Mareike Jankowski, um sich und ihre sinnliche Stimme gezielt in Szene zu setzen. Komplettiert wurde das Sängerensemble durch Neven Crnić, der einen gefühlvollen Silvio zeichnete sowie durch Cheryl Studer als Mamma Lucia, die stimmliche Schwächen mit Bühnenpräsenz wettmachte.

Unter Chefdirigentin Oksana Lyniv wurde im ersten Teil des Premierenabends vor allem das herzergreifende Intermezzo aus der Feder von Mascagni mit schluchzenden Streichern und emotionaler Spannung zu einem Höhepunkt. Ansonsten fehlte es der Cavalleria noch am letzten Rest Italianità und auch an den Gefühlsausbrüchen, die wie unter einem Weichzeichner erschienen. Roher, kompromissloser und dadurch packender war Lynivs Interpretation des Pagliacci, in dem das einmal mehr ausgezeichnet disponierte Orchester farbenreicher schillerte und vielschichtigere Gefühlswelten sowie deren Abgründe auslotete. Als eine sichere, schönstimmige und spielfreudige Bank erwies sich wieder einmal der Chor, der dieses Mal auch noch vom Extrachor unterstützt und von Bernhard Schneider zu höchstem Wohlklang geführt wurde.

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