Im Himmel trägt Gott Wolfgang Amadeus Mozart die Leitung seines Orchesters über den Wolken an. Auf die Frage des aufgefahrenen österreichischen Musik-Superstars schlechthin, was denn mit Johann Sebastian Bach sei, entgegnet der Herr: „Ich bin Bach.” Dieser geflügelte Musikerkalauer mit würdigem Kern lässt mich das Abschlusskonzert der himmelfahrtsterminlichen Bad Arolser Barockfestspiele einleiten, das dieses Jahr das L'Orfeo Barockorchester Linz mit einem puren Bachprogramm zum Motto „Himmel und Erde“ bestritt. Und ja, wer besser als Bach wäre geeignet, das Irdische und Überirdische mit seiner von allen nachkommenden Komponistengenerationen höchstgelobten Arbeit zu illustrieren, die Welten so miteinander zu verbinden, dass man sich musikalisch auf Erden im Himmel wähnt, textlich dem tröstend-verheißenden Himmelsversprechen auf Erden in seiner Einstellung gerecht wird?!
Dem Glauben an das Auffahren in das friedliche und musikalisch bestens ausgestattete Reich Gottes begegnete L'Orfeo Linz in der Ouvertüren-Suite in C jedenfalls mit dem den Abend prägenden Gestus der Gewiss- und Gelassenheit. Sie äußerte sich in einem Grundtempo, das nicht gereizt, sondern darin von großer Sachlichkeit bestimmt war. Es ermöglichte das deutliche Formen der kleinstnotenwertlichen (Vorschlags-)Verzierungen und das Anbringen artikulatorischer Bogenvariationen, die daher aber auch umso nötiger waren, um das tempokontrastierende Weniger ein bisschen ausgleichen zu helfen. Michi Gaigg, die ihr Ensemble von der Position der Konzertmeisterin aus leitete, gab den Abstrich dabei ihrer Aufgabe entsprechend am akzentuiertesten vor, stieß bei ihren engstvertrauten Mitspielern allerdings nicht durchweg auf ähnlich zupackende Übernahme. Sie musste sogar ein rhythmisches Aus-dem-Tritt-Geraten im Ouvertüren-Allegro einfangen, was so professionell und relativ schnell gelang, wie die Gavotte II. In der durften die Holzbläser aus Oboen und Fagott tatsächlich – rhythmisch korrekt – den Spieß umdrehen und den Ton setzen, wie beispielsweise auch in der tanzlich-gewitzteren, wald(eck)igen Bourée II. Nach einem leichten, diminuierenden Menuett hatte die Bourée generell endlich absetzungsmerklichen Schwung, der sich noch spürbarer im Passepied zeigte und sich dort bereits in gesanglich-arienhafter Seeligkeit und Freude ausdrückte.
Sie kamen nämlich mit Sopranistin Dorothee Mields und Traversosolistin Sophia Aretz für die und in den Bachkantaten BWV82a und BWV204 referenziell auf die Bühne, welche wiederum vom Konzert BWV1055 in der Rekonstruktionsfassung für Oboe d'amore voneinander getrennt waren. Wie erwähnt, atmete auch dieses instrumentale Zwischenspiel einen Geist der Entspannung, wobei L'Orfeos Co-Leiterin Carin van Heerden an ihrem in hoher Lage mitunter etwas widerspenstigerem Instrument in einer Art Mini-Blackout im phrasierungsfesteren Larghetto dieser und dieses ausging. Nach vorherigen kleineren technischen Unebenheiten im Kopf-Allegro fand die mit geschlossenen Augen blasende van Heerden im schwierig punktiert-verzierten Schlusssatz zu sich und ihrem bewährten Können, in dem betonte Hüpfer genauso ansprechend artikuliert waren wie die langen Sehnen. Doch nun zu Mields und Aretz, die neben genanntem Affekt die Empfindungen und Botschaften der Vergnügsamkeit und Genügsamkeit, der liebenden Sehnsucht nach und schläfrig-wachen Unerschrockenheit gegenüber dem Tod auf höchste Ebene hoben. Getragen von begleiterverwandelt weichen, balancetechnisch eingehenden und ehrerweisenden sowie tempo- und effektkundigen Stimmen des L'Orfeo Barockorchesters machten die beiden in Ich habe genug ein verlockendes Bett der mütterlichen Wärme, Einsicht und Sicherheit, in das man sich durch besinnliche Phrasierung, Organität, Stilistik und ausfüllender Textlichkeit allzu gerne fallen lassen wollte und konnte.
Nicht anders in der Kantate Ich bin in mir vergnügt, in der Mields ihre so fach- und verständnis- wie verständlich genaue, erlesen-bacherprobte, zur Identifikation werdende, in Rezitativen auch dramatischere Ausdrucksgestaltung wie kaum eine andere an den Tag legte. Nach unter anderem fließend-frommer Arie „Die Schätzbarkeit der weiten Erden“ mit Julia Huber-Warzechas violincavantiniger Untermalung kamen Aretz und Mields in „Meine Seele sei vergnügt“ wieder zusammen. So schwebend und schwingend wie im Finalsatz-Tutti „Himmlische Vergnügsamkeit“, warfen sie in natürlich registersicherer, kontrollierter Überführungskunst einen luftig-wolkigen Ausblick über sich – in den Himmel, in dem sie unausweichlich in ganz ferner Zukunft einen Platz in Bachs Orchester und Solistenteam unter Mozart gewiss haben werden.