Den einen oder anderen mag das Programm, das das Münchner Rundfunkorchester und der Chor des Bayerischen Rundfunks für ihr zweites Konzert der Reihe „Paradisi Gloria“ ausgewählt hatten, überraschen. Die erste Hälfte des Programms gestalteten die Musiker mit zwei Weihnachtswerken von Benjamin Britten und verwiesen in ihrem Programmheft auf die besondere Bedeutung von Mariä Lichtmess als offizielles Ende der Weihnachtszeit nach christlichem Verständnis. Mit weiteren anglikanischen Werken des 20. Jahrhunderts entwickelten die Musiker unter der Leitung von Ivan Repušić ein Programm, das auf völlig unterschiedliche Weise versuchte, den Raum mit Klängen zu füllen.
A Ceremony of Carols verbindet neun mittelenglische Gedichte aus der Sammlung The English Galaxy of Shorter Poems mit einem ausgedehnten Harfensolo und wird vom gregorianischen Choral Hodie Christus natus est eingerahmt. In Großbritannien hat sich A Ceremony of Carols anders als in Deutschland längst seinen festen Platz im vorweihnachtlichen Konzertrepertoire gesichert. Wegen der ungewöhnlichen Besetzung aus zwei Solistinnen, Frauenchor und Harfe entwickelt diese Carol-Sammlung eine ganz spezielle Klangsprache, die die Frauenstimmen des BR-Chores sehr detailliert erkundeten. Die besonderen Momente der Interpretation lagen dabei nicht nur in den bewegenden Carols, sondern vielmehr noch in den fragilen Pianopassagen, in denen dem Chor des Bayerischen Rundfunk lupenreine Harmonien gelangen.
Das anschließende Men of Goodwill interpretierte das Rundfunkorchester mit üppigem und kompaktem Klang als effektvollen Kraftakt, der in unterschiedlichen Variationen das Weihnachtslied „God Rest Ye Merry, Gentlemen“ mal als Prachtfanfare, mal als rasantes Allegro verarbeitete. Neben all dem prunkvollen Großklang legte Repušić angenehmerweise besonders viel Wert auf die ruhigeren Passagen, sodass das Rundfunkorchester sehr transparente Klänge und farbenkräftige Soli gestalteten konnte.
Nachhaltigeren Eindruck konnte da die Fantasia on a Theme by Thomas Tallis von Ralph Vaughn Williams machen. Das Werk, das für zwei Streichorchester und ein höher postiertes Quartett komponiert ist, setzt besonders stark auf die räumliche Wirkung des Klangs. Die instrumentale renaissancehafte Mehrchörigkeit, die Vaughn Williams zur Grundlage seines Werks machte, führte das Rundfunkorchester nicht nur bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, sondern auch effektvoll aus. Die weitgefasste Linienführung und die durchlässigen Klangfarben sponnen die Streichergruppen spannungsvoll und wie aus einem Guss zwischen den verschiedenen Gruppen fort. Während die Soli in Violine und Viola zu Beginn zu Recht noch deutlich exponiert waren, verschmolzen diese nach und nach immer mehr mit dem Gesamtklang und blieben dennoch präsent, bevor der Orchesterklang nach einem letzten Aufbäumen ins Nichts verklang. Die wenigen Momente der Stille nach dem letzten Akkord zeugten deutlich vom Eindruck, den das Werk hinterließ.