Die Musikwoche Hitzacker, im Kern immer ein kammermusikalisches Festival, das im Laufe seiner über dreißig Jahre jedoch um größere Orchesterkonzerte erweitert wurde, dauert normalerweise etwas länger als die zeitlich deskriptiven sieben Tage seines Namens. In Zeiten des anhaltenden Corona-Lockdowns machten die Verantwortlichen um den künstlerischen Leiter Albrecht Mayer und Dramaturg und Planer Markus Bröhl aus der Woche diesmal ein tatsächliches Wochenende mit gestreamter Musik, das nicht selbstverständlich ist und dessen fünf Veranstaltungen natürlich drei Barockprogramme in wirklich kleinster Besetzung in Aufrechterhaltung des konzeptionellen Rahmens beinhalteten. Darunter dasjenige für authentische Instrumente und historische Aufführungspraxis, welches das Ensemble NeoBarock um Maren Ries, Ariane Spiegel und Stanislav Gres mit Sonaten für ein bis drei Spieler präsentieren durfte.

NeoBarock
© PM Blue

Drei der sechs ausgewählten Stücke von Größen des Barock und um das Rund dieser Maestri kreisenden Komponisten erschienen dabei in Bearbeitungen. Die erste davon Michel Blavets (Flötist in Rameaus Pariser Orchester) und zum Teil NeoBarocks eigenes Arrangement Rameaus Suite der Ballett-Oper Les Indes Galantes, die auf fünf Sätze beschränkt ist. Natürlich begann sie – dem Motto Ouvertüre gemäß – mit ebensolcher Einleitung, die von allerhand Verve und Ries' gestenreicher Lebhaftigkeit an der Violine getragen war. Schon dadurch wurde auf faszinierende Weise deutlich, dass man den vollen Apparat an Instrumenten gar nicht vermissen musste. Zu ihm gehören normalerweise auch die Musettes, die französische Annäherung an Dudelsäcke, die NeoBarock in deren Rondeau zauberhaft profiliert und offensichtlich von noch intimerer Qualität profitierend im wiegenden Dämmerschritt nachahmte. Ehe die so auch aussezierten Tambourins erklangen, erfreute eine Air vif des Prologs mit melodiös zierlichem Cembalo und der festlich-rauschenden Herzhaftigkeit der Streicher. In dieser Varianz weiter stärker in sich voneinander abgesetzt, konnte das Ensemble dem Rustikalen und Lieblichen virtuos im berüchtigten Les Sauvages frönen.

Maren Ries
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Eine organisch gesteigerte Abfolge an Intensität war zudem in Jean Barrières Triosonate in d-Moll zu beobachten, als das schon mit verlangendem Zug und phrasiert belüftetem Atem bedachte Adagio sein schnelles ausgiebiges Ausleben im Allegro fand. Während die folgende Aria nochmals im gediegen schönen Schaukelmodus Affekt und Theatralik satt in die leidenschaftlichen Instrumental-Vokalitäten einbrachte, platzte aus der Giga ein wildes Statement, dessen Emotionen ebenfalls nicht hinter dem Berg halten konnten. Den Rameau'schen Slang des barock so beliebten idyllisch-pausbäckich Dörflichen einer Pastorale verarbeitete Giuseppe Tartini in italienischer Bordun-Folkloristik und natürlich skordatur-geigerischer Exzentrik. Von der recht gemütlichen Grundstimmung des Grave mit liberalerer Sicherheit und Ausdruckskraft im spielerischen Handeln entwickelte sich bei Neobarock eine kunstfertige, von Klarheit geprägte, zünftige Sause mit schroff-derben Doppelgriffen, Gefällen in schrägeren Tempoaugenzwinkern sowie Läufen und einer klassisch nicht auszulassenden Portamento-Grätsche, an dessen Ende ein davon konklusiv inspirierter, durch sein Largo-Presto-Wechsel diametral abgegrenzter Siciliano mit Halbtonverschiebungen und finalem Simultan-Pizzicato-Arco Ries' stand.

Ariane Spiegel
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Bevor die letzten Arrangements mit Bach angestimmt wurden, interpretierte das Trio mit Johann Philipp Kirnberger einen durchaus ebenso ensemblestiftenden Komponisten im Bunde seltenerer Öffentlichkeit, dessen 300. Geburtstag man dieses Jahr gedenkt und dessen bibliothekarisch gesammelten Schriften Bachs Erbe pflegen. Seine Sonate in G-Dur beinhaltet wiederum eine Ouverture, die NeoBarock mit feierlichem Enthusiasmus und vital exerzierter Bewegung begriff, von denen es im Prestissimo noch ein Gang höher schaltete.

Stanislav Gres
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Stanislav Gres war dann am Cembalo im Corporate Design der Gruppe herausgefordert, Bachs berühmte Chaconne der Violin-Partita Nr. 2 in der Bearbeitung von Alte-Musik-Pionier Gustav Leonhard über die für die Akkordwulst prädestinierten Tasten in die Herzen zu transportieren. Und dies gelang mit vollmundiger Statur wie Feingefühl, Technik wie flüssiger Melodiebahnen, die das expressive Sammeln und Versinken in den Sentimentalitäten, die die Anziehungskraft des Stücks ausmachen, hinreißend ermöglichten. Der tänzerisch-beschwingte Vortrag des zu Mitte des 18. Jahrhunderts anonym bearbeiteten Concertos BWV 525a aus originärer Orgel- und im Mittelsatz Flötensonate bildete letztlich den lustvollen Abschluss dieser gelungen arrangierten Matinee.


Die Vorstellung wurde vom Stream der Musikwoche Hitzacker rezensiert.

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