„Hüte dich vor meinem Inquisitor!” Das Hamburger Publikum täte gut daran, diese Warnung Philippes II. an den Marquis von Posa in Peter Konwitschnys Inszenierung von Don Carlos zu beherzigen. In der ersten Pause gab es ein gefährliches Zusammentreffen, als der unheimliche Kardinal im Foyer dicht an uns vorbeiging, die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen. Es stellt das Publikum ein auf ein eindringliches Autodafé, als die fein gekleidete königliche Gesellschaft sich ihren Weg durchs Parkett bahnt, dicht gefolgt von Paparazzi und einem Filmteam. Schwarz-weiße Propagandafotos regnen von den Rängen, als die Bühnenhandlung wieder aufgenommen wird.
Man kann Konwitschnys Inszenierung unmöglich in 800 Wörtern gerecht werden. Sie feierte 2001 an der Staatsoper Hamburg Premiere und wurde leicht angepasst für den Transfer an die Wiener Staatsoper drei Jahre später, wo sie einen Skandal verursachte. Er nutzt die französische Fassung der Oper... jeden einzelnen Ton davon, einschließlich all der Musik, die Verdi vor der Pariser Premiere 1867 streichen musste. Alle anderen Produktionen, die ich gesehen habe, haben wenigstens Teile der Musik herausgenommen (üblicherweise das Ballett).
Der Großteil der Handlung erfolgt in stilisiertem 16.-Jahrhundert-Kostüm und ereignet sich in einer einfachen, weißen Kiste mit niedrigen Türen – zu niedrig, denn die Sänger müssen sich ducken, um die Bühne zu verlassen. Die Ausnahmen bilden ein mit Sternen gesprenkelter, schwarzer Prospekt für Fontainebleau, das modern kostümierte Autodafé und das Ballett. Letzteres ist ein Geniestreich (für viele jedoch ein großes Ärgernis). Anstelle der Geschichte von La Pérégrina (der berühmten Perle, die Philippe II. Mary Tudor schenkte) zeigt Konwitschny Ebolis Traum, eine 1970er Sitcom, in der Eboli sich vorstellt, sie sei mit Carlos verheiratet und sie laden die Verwandtschaft zum Abendessen einladen. Eboli lässt den Braten anbrennen, also bestellt Carlos Pizza beim Lieferdienst! Es ist sehr albern, doch die vier Sänger spielten mit großartigem komischem Timing.
Humoristische Elemente finden sich auch andernorts: Carlos macht eine Becker-Faust, als er bemerkt, dass die Schöne, die er in Fontainebleau gerade angegraben hat, seine Zukünftige ist; wir wissen, dass der Gärtner-Mönch von Saint-Just in Wahrheit der frühere Kaiser Karl V ist, denn er setzt seine Krone auf und zeigt es uns, als er einen Setzling pflanzt; aus dem Orchestergraben wird für das Schleierlied eine Mandoline auf die Bühne gereicht; und als Eboli in der Gartenszene Posa die Hornbrille von der Nase schlägt, tastet dieser myopisch nach ihr suchend umher.
Doch es sind die kleinen Details, in denen Konwitschny punktet. Im Duett mit seiner Stiefmutter Elisabeth de Valois in Akt 2 sehen wir plötzlich das Weiße in Carlos‘ Augen, als er „krampft“ (der wahre Don Carlos war ein labiler, junger Mann mit Epilepsie). Am Ende des Autodafés ersetzt Konwitschny die Stimme vom Himmel durch eine Marilyn Monroe-Figur, die mitten auf der Bühne vor sich hin schmachtet und von den Kriegsbildern, die hinter ihr gezeigt werden, ablenkt. In Philippes Arie „Elle ne m’aime pas“ ist der König in seinem Arbeitszimmer nicht allein; Eboli hat die Nacht mit ihm verbracht und räkelt sich auf den Zierkissen. Besser noch, sie ist bei Philips schreckender Gegenüberstellung mit dem (blinden) Großinquisitor die ganze Zeit über zugegen, hat also deutlich mehr Information als üblich, was ihrer Mission, Carlos zu retten, noch mehr Dringlichkeit verleiht. Bei „Ô don fatal” zerschlitzt sie sich das rechte Auge, um sich zu entstellen (die wahre Prinzessin von Eboli, Ana de Mendoza, trug eine Augenklappe).
Doch all das zählte nichts, ließe die Ausführung zu wünschen übrig. Pier Giorgio Morandi dirigierte eine großartige Interpretation, die die ganze Pracht von Verdis Musik erfasste, mit besonders starkem Blech. Die sechs Protagonistenrollen wurden zwischen „großen Namen“ und Stammsängern des Hauses aufgeteilt. Pavel Černoch (Carlos) und Gábor Bretz (Philippe) waren in dieser Inszenierung bereits 2015 zu Gast und sangen beide ausgezeichnet. Genaugenommen habe ich seit Roberto Alagna in Covent Garden in den 90ern keinen so guten Carlos gehört. Černochs Stimme besitzt gerade das richtige Gewicht und die frei klingende Höhe, und sein Schauspiel war vollends überzeugend. Bretz sieht für die Rolle des Philippe viel zu jung aus, doch sein eleganter Bass – „Elle ne m’aime pas“ war wunderschön geformt – kann zu bösem Knurren werden, wo es notwendig ist.
Elena Zhidkova sang eine grandiose Eboli. Ihre Koloratur im Schleierlied war etwas schwerfällig (eine bekannte Gefahr dieser Rolle), aber es knisterte in „Ô don fatal“, als sie ihren strahlenden Mezzo mit einem Spritzer Essig würzte. Alexey Bogdanchikov beeindruckte als geschraubter Posa, besonders mit seinen Höhen in einer aufregenden aufregenden Umsetzung des Freundschaftsduetts „Dieu, tu semas dans nos âmes“, und dem nahtlosen Legato in seiner Arie „C’est mon jour suprême“. Luigi De Donatos trockener Bass konnte aus der Rolle des Großinquisitors nicht alles herausholen und einem eiskalte Schauer über den Rücken jagen, doch Alin Anca gab mit warmem Bass einen sympathischen Mönch/Karl V.
Das Überraschungspaket war ein herrliches „Toi qui sus le néant” von Lianna Haroutounian als Elisabeth, mit großartiger Kontrolle und majestätischer Phrasierung. Es war die Krönung einer großartigen Vorstellung einer großartigen Produktion einer großartigen Oper.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.