Nach dem kollektiven Ausnahmezustand, in den angesichts der starbesetzten Tosca am Vorabend ein Großteil des Publikums verfallen war, kehrte mit Peter Iljitsch Tschaikowskis Eugen Onegin wieder der deutlich entspanntere Repertoirealltag im Haus am Ring ein. Dabei konnte diese Vorstellung, die mit einem Hausdebüt und gleich fünf Rollendebüts doch auch eine gewisse Premierenspannung bot, ebenso mit höchstem Niveau aufwarten.
Einziger Wermutstropfen bei jeder Aufführung des Onegin an der Wiener Staatsoper ist und bleibt für mich die Inszenierung von Falk Richter. Schnee, Schnee und nochmals Schnee, der praktisch pausenlos vom Schnürboden fällt und dazwischen ein paar Eisblöcke als Bühnenbild. Eine der ersten Assoziationen, die sich mir aufdrängen: Schönbrunner Eisbärengehege trifft Wiener Staatsoper. Optisch ist das alles in seinem kühlen Charme zwar ganz ansprechend, liefert aber wenig Interpretationsspielraum und kann im schlechtesten Fall zu belanglosem Rampensingen führen. Nicht so an diesem Abend, an dem sich das gesamte Sängerensemble mit viel Verve und Spielfreude regelrecht in die Rollen warf.
Christopher Maltman gab einen kraftstrotzenden Eugen Onegin, der zwar optisch nicht ganz der elegante Lebemann war, wie man ihn von vielen anderen Rolleninterpreten gewohnt ist, machte diesen Umstand aber schnell durch seine stimmliche Gestaltung vergessen. Schier endloses Volumen und geballte Durchschlagskraft trafen den Abend über auf differenzierte Dynamik, profunde Tiefe und samtige Höhe. Im ersten Akt noch den Gelangweilten mit herrlich strömender Stimme und Nonchalance verkörpernd, drehte Maltman immer weiter auf und steigerte sich bis hin zu feurig lodernder Intensität im dritten Akt. An seiner Seite bestach Olga Bezsmertna als gefühlsbetonte Tatjana, die ihren lyrischen Sopran mit schimmerndem Timbre zunächst noch zurückhaltend, besonders in der Briefszene aber üppig und leidenschaftlich einsetzte. Mit träumerischen piani und hörbarer Schüchternheit interpretierte sie die junge Verliebte und vollzog schließlich die Wandlung zur Fürstin Gremina nicht nur darstellerisch, sondern auch gesanglich mit eleganter Grandezza. Auch im Zusammenspiel zwischen Maltman und Bezsmertna kamen die feinen Nuancen der unmöglichen Liebe ideal zur Geltung. Darüber hinaus harmonierten die beiden Stimmen ausgezeichnet.
Das zweite, aber nicht unbedingt glücklichere Paar des Abends war mit Pavol Breslik und Ilseyar Khayrullova ebenso wunderbar besetzt. Khayrullova verlieh der Olga die nötige Lebhaftigkeit, ohne überdreht zu wirken und stattete sie mit sattem Mezzo, rubinroten Tiefen und unforcierten Höhen aus. Zu ihrem Rollendebüt kam sie an diesem Abend zwar nur als Einspringerin, aber hoffentlich wird man sie in Zukunft noch öfter an der Wiener Staatsoper hören. Den im Grunde liebenswerten, aber irrational eifersüchtigen Dichter Lenski verkörperte Breslik konstant zwischen diesen beiden Extremen changierend und legte dabei jegliche Gefühlsregung nicht nur in die Darstellung sondern auch in die Stimme, die mit ihrem melancholischen Schmelz ideal für das slawische Repertoire ist. Sein herzergreifendes Kuda Kuda, in dem ihm schlichtweg alles perfekt gelang, war für mich klar einer der Höhepunkte der Vorstellung!