Für zwei Konzerte im Stefaniensaal kehrte Oksana Lyniv Anfang dieser Woche zurück ans Pult der Grazer Philharmoniker, deren Chefdirigentin sie bis 2020 war, und hatte dafür nicht nur Klassiker von Camille Saint-Saëns und Hector Berlioz, sondern auch eine Uraufführung eines Werks des ukrainischen Komponisten Zoltan Almashi mit im Gepäck.
Den Abend eröffnete das Auftragswerk Maria’s City, ein Adagio für Streicher, das Almashi der zerstörten Stadt Mariupol gewidmet hat und dessen Entstehungsprozess der Komponist als „sehr schwierig“ bezeichnet. Allerdings liege ihm Mariupol am Herzen und er wolle mit diesem Werk auf seine Art die Geschichte der Stadt erzählen, denn „die Wahrheit über diese Stadt ist der Komposition immanent“. Und so verbindet die Klangsprache von Maria’s City die zahlreichen Facetten einer stolzen Stadt, die sich mit Belagerung und Zerstörung konfrontiert sieht. Von den Streichern der Grazer Philharmoniker wurde das Adagio unter Lynivs Leitung in dunklen Farben berührend interpretiert, in düsteren, beinahe apokalyptischen Passagen klagten die Instrumente herzerweichend,
ließen dabei aber auch stets berückend elegische Schönheit mitschwingen und zarte Momente der Hoffnung aufkeimen. Als Solistin stand danach bei Camille Saint-Saëns‘ Erstem Cellokonzert Harriet Krijgh unangefochten im Mittelpunkt, die Grazer Philharmoniker übten sich in –fein akzentuierter und ebenso farbenreicher wie klangschöner – Zurückhaltung, sodass die Solistin niemals Gefahr lief, vom Orchester überrollt zu werden. Ihr Spiel bestach mit einer einnehmenden Mischung aus Gefühl sowie Verve und der Farbenreichtum, den sie ihrem Instrument entlockte brachte regelrecht die Luft im Saal zum Schimmern. Krijghs technische Souveränität, die sie besonders eindrucksvoll in der Kadenz des zweiten Satzes unter Beweis stellte, verkam dabei nicht zu bloßem Selbstzweck, sondern wirkte wie eine deklamatorische Szene eines Schauspielers in einem Drama. Mit einer elegant dargebotenen Zugabe – der Sarabande aus Bachs Erster Cellosuite – verabschiedete sich Krijgh schließlich vor der Pause vom Grazer Publikum.
Wie bereits in der ersten Konzerthälfte zeigte sich auch bei Hector Berlioz‘ Symphonie fantastique, wie exzellent die Abstimmung zwischen Dirigentin und Orchester funktioniert. Die Musiker setzten jeden noch so kleinen Fingerzeig um und verbanden klangliche Akkuratesse mit plastischem Storytelling, denn der Spannungsbogen der fünf Szenen wurde auffallend fein herausgearbeitet. So erklangen die Rêveries zwar schon leidenschaftlich aufwallend, ließen aber noch genug Spielraum für dynamische Steigerung in den folgenden Abschnitten. Mit herrlichen Verzögerungen gestalteten die Grazer Philharmoniker die Walzerklänge, die dank Lynivs Interpretation eine ideale Mischung aus Sentimentalität und Lebenslust vermittelten. Wunderbar lyrisch und schimmernd zart gestalteten Englischhorn und Oboe ihren Dialog am Anfang des dritten Satzes, bevor sich im Schlagwerk das Donnergrollen mystisch entwickelte, ohne bereits hier allzu plakativ zu werden. Ein regelrechtes Feuerwerk wurde schließlich in den letzten beiden Szenen gezündet, Lyniv hielt ihr Orchester hier zunehmend zu strafferen Tempi und sich steigernder Dynamik an und gestaltete dabei einen musikalischen Sog, der das Publikum unaufhaltsam in Richtung finalem Hexensabbat mitriss. Nicht nur die Grazer Philharmoniker und Oksana Lyniv schienen sich an diesem Abend über die erneute Zusammenarbeit sichtlich zu freuen, auch das Publikum genoss das Wiedersehen und -hören mit der ehemaligen Chefdirigentin, die gewissermaßen von Graz aus die Welt eroberte.