„Das Lied lebt!”, rief Konstantin Krimmel ins Publikum, das ihn nach seinem Liederabend im Prinzregententheater frenetisch feierte. Ja, wenn sie so präsentiert werden, wie hier in München von diesem charismatischen Sänger, dann werden Lieder lebendig, dann bleiben sie nicht nur schöne (und leider seltener gewordene) Museumsstücke im Reigen des Konzertbetriebs.

Nach diesem Abend konnte man den Eindruck gewinnen: Der Weg dieses 32-jährige Baritons ganz an die Spitze ist nicht mehr weit. Im Opernensemble der Bayerischen Staatsoper ist er engagiert, feierte seinen jüngsten Erfolg dort als Don Giovanni. Aber seine Stimme prädestiniert ihn ebenso zum Liedsänger – wegen ihrer vibratoarmen Klarheit, ihrem Farbenreichtum, der geschmeidigen Führung durch alle Register, ihrer Sättigung in allen Lagen, einer ausgeprägten klanglichen Schönheit vom feinsten Piano bis hin zu den stärksten Ausbrüchen, die stets klug kalkuliert bleiben. Aber nicht allein die pure Technik auch seine hohe Identifikation mit dem Text, seine Textausdeutung bis in jede Nuance hinein sorgten für ein gebanntes Publikum.
Zu solcher Magie trug ebenso Ammiel Bushakevitz am Flügel bei. Vertonungen von vier Komponisten standen auf dem Programm: alle sechs Schubert-Lieder auf Heine-Texte aus der Sammlung Schwanengesang, vier aus dem reichen Heine-Œuvre Schumanns, drei von Liszt und zwei von Mendelssohn. Feinstes Gespür für die jeweiligen stilistischen Besonderheiten zeichnete die Begleitung aus und eine ebensolch nuancierte Ausdruckspalette wie der Sänger sie vorlegte. In den beiden Liszt-Liedern war der Klaviersatz komplex und auf pianistische Brillanz gerichtet. Ganz im Gegensatz zum geläufigen Volkston der Lorelei-Vertonung von Silcher gestaltete Liszt das Gedicht als eine dramatische Szene. Bei Schumanns Vertonungen waren es nicht zuletzt die kontemplativen Nachspiele, in denen die musikalische Rhetorik des Pianisten beeindruckte. Und in den Schubert-Liedern die subtile Feinzeichnung der differenzierten Harmonik, bis hin zu klanglicher Pastellzeichnung wie das Nebelbild in Die Stadt oder die Gestaltung der schauerlichen Stimmung im Doppelgänger.
Breit war das Themenspektrum der ausgewählten Lieder – es bot gleichsam ein Panorama der Heineschen Lyrik und zugleich ein Panorama seines Lebens, denn zu den vertonten Gedichten kamen noch Ausschnitte aus Prosawerken des Dichters, die von Maren Ulrich mit großem rhetorischem Geschick und frei rezitiert wurden. So entstand eine Art Gesamtkunstwerk aus den Leitmotiven des Lebens und Dichtens Heinrich Heines, was bei ihm nicht zu trennen ist: tiefer Weltschmerz und bittere Ironie.
Mit dem Leid des Verliebten, dem Schmerz über Zurückweisung und der Sehnsucht nach Glück sind Heines Bücher der Lieder angefüllt. Aber auch die Facetten seiner politischen Dichtung spiegelten sich im Programm wider. Etwa sein ambivalentes Verhältnis zu Napoleon, das hier als kritischer Prosatext und in der Ballade Die beiden Grenadiere beleuchtet wurde. Krimmel und Bushakevitz machten daraus eine bittere Anklage gegen Autoritätshörigkeit. Schier atemberaubend geriet die Geschichte von Belsatzar, dem babylonischen König, der in seiner Hybris das Menetekel seines Untergangs an der Wand nicht versteht. Unrechte Herrschaft war Heine sein Leben lang ein Graus.
Und auch das deutsche Philistertum, die Spießigkeit des biedermeierlichen Bürgertums, das ihn bereits aus Deutschland nach Frankreich getrieben hatte, noch bevor die Zensur des Metternichsystems und zunehmender Antisemitismus ihn endgültig aus seinem „Stiefvaterland” verbannten. Sarkastisch berichtet er 1822 aus Berlin vom dort grassierenden Freischütz-Fieber, vor allem dem allerorten vernehmbaren Lied vom Jungfernkranz. Während Maren Ulrich diesen Text rezitierte, karikierte Krimmel an den betreffenden Stellen diesen Ohrwurm im Falsett. Klar, Heine hatte eine andere Vorstellung von der Liebe, als nur schnell unter die Haube zu kommen. Er träumte davon, sein Liebchen Auf Flügeln des Gesanges fortzutragen, was Mendelssohn so sinnlich und heiter beschwingt in Töne gesetzt hat.
In Heines tiefer Ambivalenz der Gefühle endete dieses berührende Liederkonzert: mit seinem eigenen schmerzlichen und zugleich tröstlichen Grabgesang Mit Myrten und Rosen in Robert Schumanns ans Herz gehender Vertonung.