Auch und gerade in dieser Saison kommt man an einem Zentenarium nicht vorbei, nämlich jenem Gabriel Faurés Todestags. Und damit nicht an dem Werk Faurés, das neben seiner Pavane heute sein berühmtestes ist: das Requiem. Am 16. Januar 1888 in Pariser Sainte Marie Madeleine in der fünfteiligen Kammerversion mit dreißig bis vierzig Sängern uraufgeführt, hatte Philippe Herreweghe zum 100. Jahrestag der Premiere die Blechbläser beinhaltende, vollständige, mithin siebenteilige Fassung von 1893 der Öffentlichkeit auf getreuen Instrumenten vorgestellt.

Dem sollten nun – nach beispielsweise John Eliot Gardiner kurz darauf in den 1990ern – die flämischen Originalklangkollegen der Anima Eterna Brugge gemeinsam mit wallonischem, doch gleichfalls mit Brügge ein musikalisches Zuhause vorfindendem Vox Luminis in belgischer Gesamtpartnerschaft folgen, wobei sie in erster Hälfte das erneuerte Liszt-Projekt mit Joseph Moog fortsetzten. Und zwar diesmal unter Jakob Lehmann, der vor fast zehn Jahren zur Anima Eterna stieß. Zunächst als Einspringer auf dem Posten des Konzertmeisters, schließlich ebenfalls als Dirigent.
In ihrer Heimspielstätte begann die neuerliche Zusammenkunft dazu in mehrerlei Hinsicht vertraut. Zunächst allgemein mit Franz Liszt und der Paarung Les Préludes und Totentanz, wie bei der Katalogisierung AEBs grandioser Einspielung vor zwanzig Jahren unter ihrem im September 2024 rausgeschmissenen Gründer Jos van Immerseel. Bei Fauré, der Liszt vor dem Requiem 1887 in Weimar besuchte, mit den altbekannten Gesangssolisten, Yeree Suh und Thomas E. Bauer. Vertraut allerdings auch dahingehend, dass das überragende, körnige Blech mit deutschen Posaunen, das harte Schlagwerk sowie die leicht schiefersteinig durchschimmernden Streicher in reduzierter Besetzung in Liszts sinfonischer Dichtung die heroische, toraufgehende Anregung zum Leben und dem Danach durch ihre lichten Farben denn durch im Laufe der Rezeptionsgeschichte missbräuchliche Pathosübersteigerung anderer erzeugten.
Dabei erschöpfte sich aber jenes Bekannte nicht allein in einer vermeintlichen Reproduktion, die in der Gesamtartikulation damals noch kitzelig-schrofferem Grundtenor unterlag, sondern variierte selbstverständlich mit dem Daseinslauf eines Orchesters und seines Dirigenten, anschließend im Totentanz mit dem seines Pianisten, so dass das insgesamt etwas gemächlichere Basistempo, das bei ein oder anderer Stelle Theatralik in Les Préludes ein wenig kantiger schien, klarer in seiner ausfüllenden Flexibilität hervortrat. Zudem, dass die Portamenti sowie die verschiedenen skizzierten Empfindungen deutlicher gerieten, auch mittels gut dosierter unterschiedlicher Einsätze, die teils kammerintensiven, avantgardistischen Touch aufwiesen.
Bestens balanciert zudem der Leipziger Blüthner von 1859 im Totentanz, genau der Entstehungszeit Liszts zweiter Version des Stücks, der mit den Bläsern beinahe Orgelcharakter besaß sowie an dem sich Moog mühelos und kontrastscharf einen perkussiven Dies-irae-(Uhren)Schlagabtausch mit dem farb-, effekt- und körperreichen, spinnennetzartigen, erdigen, von Lehmann souverän koordinierten Orchester lieferte und die makabre Leichtigkeit des Seins in voller Lebensblüte feierte. So ploppten durch seinen Klang ganz natürlich Imaginationen twistender Skelette auf, die nach sachlich-barockem Präludium Walzer tanzten oder nachdenklich einen romantisch schönen Frieden zur Paraphrase antäuschten, um sodann Glieder zittern zu lassen – passend zur Atmosphäre draußen, wo wabernder Nebel knapp über dem Gefrierpunkt Brügges Glockentürme in fast gespenstische Unsichtbarkeit hüllte.
Wie programmpraktisch sich ebenso fügend, dass sich mit Faurés Requiem letztlich tatsächlicher Friede und wärmende Seelenruh bis hin zu einem lächelnden Jahrmarkt himmlischen Trosts erfüllte. Ohne Taktstock und ersichtlich in den Gesten, vor allem aber hörbar in lebendiger Phrasierung und Dynamik lag Lehmann das Vokale nochmals besser. Mit texturierter Anima Eterna, sonor in den Streichern samt stärker vibrierenden Einsätzen Martin Reimanns Sologeige im „Sanctus“, kräftig im Harmonium, dezent bei Pauken, Harfe und Blech mit französischen Posaunen, schuf er eine bewegliche, zu Herzen gehende, strukturiert-homogene Interpretation. Dafür war Vox Luminis, nach der Aufnahme Mozarts ins Repertoire 22/23 schlappe hundert Jahre Musikgeschichte überspringend, der optimale Partner: geschmeidig wandelbar, schlank, verständlich, andächtig, darüber ekklesial Form und Stil haltend, leuchtrein und feinfühlig. Würdig dazu auch Suh mit knabensopran-puristischem, angenehmem Timbre und Bauer in weichem, sehr lyrischem Vortrag.