Hoffmanns Erzählungen ist ein Lieblingsstück des Publikums im Haus am Ring, da gibt es traditionell Zwischenapplaus sowie den einen oder anderen Bravo-Ruf für die bekannten Sängerinnen und Sänger, und auch die fantasievolle, ästhetisch wie dramaturgisch tadellose Inszenierung gefällt nach 31 Jahren immer noch. Alles gut also? Opernfans mit langjähriger Liebe zu diesem Werk können das leider nicht uneingeschränkt bejahen, denn Bertrand de Billy am Pult sorgte mit preußischer Stabführung, jedoch ohne deutsche Gründlichkeit für einige musikalische Irritationen. Und wer sich auf Charme und Flair gefreut hatte, wurde unfreiwillig an die französischen Existentialisten erinnert: Dieser Hoffmann war existent, aber ohne Essenz.

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Les contes d‘Hoffmann
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Um die Essenz eines Werkes herauszuarbeiten, sollten zunächst einmal nicht zu viele Schnitzer passieren: Im Prolog hinkte das Orchester teilweise hinterher, im Olympia-Akt der Chor, und auch sonst gab es bei der besprochenen zweiten Vorstellung nach fünf Jahren Pause einige verpatzte Einsätze. Rätselhaft daran ist, wie das unter de Billys rhythmischer Strenge überhaupt möglich ist, wobei letztere ja nicht gerade ein Stilmerkmal des französischen Opernrepertoires ist. Nicht nur, aber gerade die französische Oper lebt von rubato, da muss Platz zum Atemholen und Ausklingen geschaffen werden, darf der eine oder andere schöne Augenblick ruhig ein wenig länger dauern.

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John Osborn (Hoffmann)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Im Idealfall ist Hoffmann mit seinen fantastischen Melodien eine geradezu nahtlose Aneinanderreihung dieser Augenblicke. Wenn aber die berühmte Diamantenarie rhythmisch so schnell durch die Mangel gedreht wird, dass ein begabter Sänger wie Alex Esposito keine Chance hat, seinen wandelbaren Bassbariton zum Strömen zu bringen, dann ist das wohl nicht nur für das Publikum frustrierend. Ähnliches muss man über „Ange du ciel“ berichten, bei dem John Osborn als Hoffmann zum Handkuss kam. Man kann sich auch nur wundern, dass die Barcarole fast mechanisch, wie aus einer Spieldose klang, wo doch derselbe Dirigent beim diesjährigen Opernball bewiesen hat, dass es auch anders geht.

Serena Sáenz (Olympia) © Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Serena Sáenz (Olympia)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Auf der Höhe der Anforderungen gelangen immerhin der zentrale Antonia-Akt und die launigen Wirtshausnummern im Prolog (Hoffmanns Lied von Klein-Zack und der Chor „Luther est un brave homme“). Zusätzlich war erfreulich, dass durch die gute Besetzung viel kompensiert wurde. Serena Sàenz gab sowohl für Olympia als auch Giulietta und lieferte eine sehr ansprechende Leistung. Sie ist zwar nicht die geborene Olympia (in der Koloratur waren anfangs ein paar Noten nur angedeutet), besitzt aber eine wohlklingende Höhe und schauspielerisches Talent. Bei den verführerischen Tönen ihrer Giulietta ist es kein Wunder, dass die Männer dieser Dame verfallen.

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Alex Esposito (Lindorf / Coppélius / Miracle / Dapertutto)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Als Antonia gefiel Nicole Car, auch wenn das Dirigat ihrer Arie anfangs etwas mehr Tempo vertragen hätte. Ein Vollprofi wie Car lässt sich von derlei aber nicht beirren und schaffte es dank ihrer stimmlichen Präsenz und Darstellungskraft, die Dinge zu ihren Gunsten zu drehen. Angela Brower war als Muse/Nicklausse ebenfalls tadellos unterwegs und bildete mit John Osborn ein tolles Muse-Künstler-Team. Hoffmann ist eine berühmt-berüchtigt schwierige Partie, in der neuerdings langgediente Belcanto-Stars wie eben Osborn oder Juan Diego Flòrez in London reüssieren. Das „Herkunftsrepertoire“ ist ohne eine Extraportion stimmlicher Flexibilität nicht bewältigbar, und diese Flexibilität ist für weite Strecken der Hoffmann-Partitur ein großes Plus, ermöglicht erst die sichere Umsetzung dieser Partie bei straffem Tempo.

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Nicole Car (Antonia)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Eine starke Leistung unter den besprochenen Bedingungen. Dasselbe gilt für die vier Bösewichte, die Alex Esposito mit jeweils eigenem Profil und Stimmfarben ausstattete – Lindorf im Prolog/Epilog und Coppélius im Olympia-Akt gelangen dabei am besten. In den Nebenrollen gab es durchwegs solide Leistungen, wobei Andrea Giovannini als Spalanzani einen köstlichen, ironisch-esoterischen Ton für den verrückten Erfinder fand.

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Andrea Giovannini (Spalanzani) und Thomas Ebenstein (Cochenille)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Die besprochenen Schwächen dieser Aufführung sprechen keinesfalls gegen das Werk, sondern sollten vielmehr zum Anlass genommen werden, den Schluss- und Höhepunkt von Offenbachs Schafen im Repertoire wieder mehr zu pflegen; dafür sprechen auch das enorme Publikumsinteresse und Andrei Șerbans fantasievolle, zeitlos-elegante Inszenierung. 1993 entstanden, stand sie bis 2008 praktisch jährlich am Spielplan, war dann bis zu dieser Aufführungsserie aber leider nur in größeren Abständen (2014, 2019) zu erleben. Sie zeigt den Künstler Hoffmann als sensibles Naturell, das in den metaphorischen Armen der Muse besser aufgehoben ist als bei seinen Geliebten – schließlich befeuern unerfüllte Sehnsüchte auch die Kreativität. Auch die Bühnenbilder – etwa Hoffmanns mit Tintenspritzern übersäte Schreibstube, Spalanzanis irres Olympia-Universum und das nächtliche Venedig – bestechen immer noch mit schönen gestalteten Details, etwa dem beweglichen Mond im Giulietta-Akt, oder dem aus der Wand hervorlugenden Riesenauge im Olympia-Akt.

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Alex Esposito (Lindorf / Coppélius / Miracle / Dapertutto)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Im Finale wird unter anderem ein überdimensionales Metronom gezeigt, das an der Pendelspitze das Schwarzweißbild eines weiblichen Auges trägt – eine Glanzidee, mit der Ausstatter Richard Hudson Man Rays Object to Be Destroyed aus 1923 zitiert. Dass dieses Metronom auch einmal Sinnbild für die musikalische Seite einer Hoffmann-Aufführung werden würde, war nicht abzusehen, passt aber auch zum Schluss und Fazit des Stücks: Zum Leben gehören Liebe und Leid, und durch Kunst wird das Leben reicher.

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