„Anstelle von Fazıl Say spielt der Pianist Louis Schwizgebel.” Die trockene Mitteilung auf der Website des Veranstalters bot natürlich Anlass zu Spekulationen. Ein (noch) nicht so bekannter Schweizer statt des türkischen Starpianisten. Vor dem Konzert in der Tonhalle Zürich gab es weder einen erklärenden Flyer noch eine Ansage. Doch zuhanden der Presse lieferte Mischa Damev, der Intendant von Migros-Kulturprozent-Classics, folgende schriftliche Erklärung: „Grund für den Wechsel sind öffentliche Äusserungen Fazıl Says im Nachgang zu dem Terror-Angriff auf Israel, welche für die Migros nicht haltbar sind.” Eine Ausladung aus aktuellen politischen Gründen also.

Migros-Kulturprozent-Classics, eine Kulturabteilung des bekannten Schweizer Supermarktes, ist der einzige Veranstalter in der Schweiz, der Tourneen bedeutender ausländischer Orchester in verschiedenen Städten des Landes durchführt. Für die Eröffnungstournee hat man das City of Birmingham Symphony Orchestraengagiert, das dieser Tage in Zürich, Bern, Genf und Luzern zu Gast ist. Während der langen Direktion von Simon Rattle hat sich das CBSO von einem mittelprächtigen Stadtorchester zu einem Klangkörper der Spitzenklasse entwickelt. Seit einem halben Jahr ist der Japaner Kazuki Yamada Chefdirigent der Birminghamer.
Das musikalische Programm des Zürcher Konzerts setzte ganz auf Popularität: Prokofjews Symphonie Classique, Saint-Saëns’ Zweites Klavierkonzert und Rimski-Korsakows Scheherazade. Dass der eingesprungene Louis Schwizgebel das ursprünglich vorgesehene Klavierkonzert übernehmen konnte, war natürlich ein Glücksfall. Mochten einige Zuhörer anfänglich bedauert haben, auf das Spiel ihres Idols verzichten zu müssen, schaffte es Schwizgebel in den folgenden dreiundzwanzig Minuten, das Publikum vergessen zu machen, dass da ein Einspringer am Flügel sass. Schnell spürte man, dass ihm dieses Klavierkonzert, das er auch auf CD eingespielt hat, am Herzen liegt. Bei Saint-Saëns’ g-Moll-Konzert handelt es sich kompositorisch weniger um ein herkömmliches dialogisches Klavierkonzert im Sinne Beethovens, sondern mehr um eine Rhapsodie für Klavier und Orchester. Insbesondere im ersten Satz, wo das Vorbild Liszt deutlich herauszuhören ist.
Der Pianist ging den Solopart mit offenkundiger Fabulierlust an und wurde sowohl den virtuosen wie auch den lyrischen Abschnitten gerecht. Als Charakter ist Schwizgebel weniger Showman als Say, spielerisch weniger extravagant, mehr dem Werk als der Selbstdarstellung verpflichtet. Seine gestalterische Palette beeindruckte auch im zweiten und im dritten Satz: Im Scherzo traf er den an Mendelssohn orientierten Feen-Zauber auf den Nagel, und im Schlusssatz erzeugte er mit den wild dahingaloppierenden Triolenrhythmen eine elektrisierende Wirkung.
Um die Qualitäten des City of Birmingham Orchestra voll zu würdigen, musste man sich bis zur letzten Komposition gedulden. Denn bei der eröffnenden Symphonie Nr. 1 in D-Dur von Prokofjew liess Yamada eine wenig überzeugende Lesart erklingen. Das an Haydn und seinen klassischen Stil anknüpfende Werk liess der Dirigent mit einer zu grossen Streicherbesetzung und einem zu romantischen Gestus musizieren. Dadurch ging der von Prokofjew anvisierte leichte und humorvolle Charakter der Symphonie weitgehend verloren. Umso mehr kam dann Rimski-Korsakows Scheherazade den Intentionen des Dirigenten entgegen. Wie Saint-Saëns’ Klavierkonzert trägt auch Scheherazade rhapsodische Züge. Die sinfonische Suite „erzählt” in freier Form vier Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, die Assoziationen an einen unerlösten Seefahrer, eine schöne Prinzessin oder an ein orientalisches Fest hervorrufen. Yamada schaffte es tatsächlich, sein Orchester zu einem beredten Geschichtenerzähler zu formen. Die Klangfarben, die das CBSO in den zahlreichen Soli, den Registerkombinationen und im Orchestertutti hervorzauberte, waren schlicht betörend. Grosses Lob verdient allen voran der Konzertmeister Eugene Tzikindelean, der die Violinmelodie der titelgebenden Scheherazade in allen ihren Varianten hingebungsvoll zum Erklingen brachte.