Asrael? Der Name stammt aus der islamisch-persischen Tradition und steht für den Todesengel, der die Seelen der Verstorbenen ins Licht des Paradieses führt. Den Beinamen „Asrael” trägt auch die 1906 fertiggestellte Zweite Symphonie des tschechischen Komponisten Josef Suk. Er widmete sie dem Andenken seines Lehrers und Schwiegervaters Antonín Dvořák sowie seiner kurz danach ebenfalls verstorbenen Ehefrau Ottilie. Künstlerische Trauerarbeit also im wahrsten Sinne des Wortes. Die Tonart c-Moll steht, in bewusster Anlehnung an Beethovens Fünfte, für das Hadern mit dem Schicksal und dessen Überwindung. Am Schluss des fünften Satzes breitet sich lichtes C-Dur aus, der Kampf ist ausgestanden.

Jakub Hrůša © Marian Lenhard
Jakub Hrůša
© Marian Lenhard

Suks Zweite Symphonie fristet im deutschen Sprachraum, nicht anders als sein restliches Werk, ein Schattendasein. Einer, der das ändern möchte, ist der Tscheche Jakub Hrůša, derzeit Chefdirigent der Bamberger Symphoniker und, im Alter von 42 Jahren, bereits designierter Musikdirektor des Royal Opera House in London. Suks Asrael-Symphonie hat Hrůša bisher mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und mit dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra eingespielt, und er dirigiert sie gerne bei seinen Gastspielen. Dabei stellt er sich ganz in die Tradition von Václav Talich, Karel Ančerl und seinem Lehrer Jiři Bĕlohlávek, die sich schon früher für ihren Landsmann Suk eingesetzt hatten. 

Vom Tonhalle-Orchester Zürich war Hrůša zu einem Gastspiel eingeladen worden, bei dem Suks Symphonie als Hauptstück zur Debatte stand. Als Zuhörer stellte man sich mit Spannung die Frage, ob sich der Wiederbelebungsversuch des engagierten Suk-Anwalts gelohnt hat. Die Antwort fällt durchzogen aus. Zum einen war offensichtlich, dass Hrůša, der auswendig dirigierte, das Tonhalle-Orchester mit seinem Engagement und seinem Enthusiasmus zu hundert Prozent für sich einnehmen konnte. Was die Qualität der Symphonie betrifft, hinterliess die Zürcher Aufführung zwiespältige Eindrücke. Es handelt sich um ein einerseits pathetisches und wuchtiges, andererseits sentimentales Werk mit viel Redundanz. Paradebeispiel dafür ist das gleich zu Beginn vorgestellte Schicksals- bzw. Todesthema, das im Verlauf der einstündigen Sinfonie bis zum Geht-nicht-mehr ausgewalzt wird. Eine originelle Idee des Komponisten ist es allerdings, dieses Motto am Schluss der Sinfonie als tröstlichen Choral in C-Dur erscheinen zu lassen. Hier gelang Hrůša eine sehr delikate Interpretation. 

Grundsätzlich aber rührte der Dirigent mit der ganz grossen Kelle an. Die pathetischen Stellen gerieten extrem pathetisch, die sentimentalen extrem sentimental. Damit stellte Hrůšas Interpretation aber genau die problematischen Seiten des Werks ins Schaufenster, indem er sie grell beleuchtete. Interessant ist hier der Vergleich mit den Einspielungen von Ančerl und Bĕlohlávek. Während Ančerl mit dem SWR-Symphonieorchester Baden-Baden, soweit man dies auf der alten Aufnahme hören kann, eine straffe und geschärfte Lesart vorstellt und Bĕlohlávek mit den Tschechischen Philharmonikern mehr die lyrischen Seiten zeigt, betont Hrůša das Feierlich-Pathetische.

Dass zu Beginn des Zürcher Konzerts die Schweizer Erstaufführung Hosokawas Umarmung für Orgel und Orchester mit Christian Schmitt als Solisten gespielt wurde, war nicht zufällig. Denn Schmitt ist der Widmungsträger der Komposition, deren Uraufführung 2017 in Bamberg stattfand – mit Jakub Hrůša als Dirigenten. Schmitt ist aber auch mit Zürich verbunden, hat er doch den Neubau der Tonhalle-Orgel mitbegleitet und 2021 beim Einweihungskonzert mitgewirkt. Die Besonderheit von Hosokawas Komposition liegt darin, dass sie nicht im traditionellen Sinn ein Orgelkonzert ist. Vielmehr wird die Orgel immer wieder in den Klang des Orchesters hineingezogen, was dann die wenigen solistischen Stellen umso leuchtender heraustreten lässt. Diesen Chamäleon-Charakter des Orgelparts brachte Schmitt gekonnt zur Geltung.

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