Keine Pyramiden, kein Nil und keine Elefanten an der Bayerischen Staatsoper: Regisseur Damiano Michieletto verzichtet in seiner Inszenierung von Giuseppe Verdis Aida konsequent auf jeglichen Ägypten-Bezug und holt die Handlung ins Heute. Dabei legt er den Fokus auf das zentrale Thema – den Krieg und dessen Folgen für alle Beteiligten. Diese Herangehensweise mag jene enttäuschen, die opulente Kostüme und güldenen Pharaonen-Kitsch erwarten, aber alle anderen kommen in den Genuss einer ebenso stringenten wie ergreifenden Interpretation.
In einer zerbombten Sporthalle siedelt Michieletto die Handlung an und zeigt gnadenlos die Realität eines Volkes, das wohl seit Jahren im Krieg gegen das Nachbarland ist. Er führt dabei bisweilen brutal die Absurdität des martialischen Librettos vor Augen, etwa wenn ein Kindersarg und eine trauernde Mutter die Worte „Guerra, guerra e morte allo stranier!” illustrieren. Ihren vielleicht stärksten Moment hat die Inszenierung während des Triumphmarsches, der mit einer Ehrung von versehrten Soldaten unmissverständlich deutlich macht, dass Krieg nur Verlierer kennt. Der vermeintliche Held Radames kehrt dabei zwar körperlich heil zurück, leidet aber an einer posttraumatischen Belastungsstörung und erlebt während der Zeremonie Flashbacks.
Je weiter in Folge die Handlung und somit der Krieg fortschreiten, desto gravierender werden die Spuren der Zerstörung in der Sporthalle, bis schließlich nur noch ein symbolischer Schutthaufen zurückbleibt. Lediglich ein hoffnungsvoller Moment ist Radames vergönnt: Nämlich als er zum Tode verurteilt seine Hochzeit mit Aida imaginiert. Dass sich diese Traumsequenz mit bunten Luftballons und in Zeitlupe abspielt, erzielt einen surreal-romantischen Effekt, der inmitten der Trostlosigkeit einen ergreifenden Gegenpol bildet. Dabei lässt Michieletto offen, ob Aida und Radames wirklich gemeinsam sterben oder ob es sich nur die Fantasie eines einsam Sterbenden handelt. Weniger entrückt geht es währenddessen in der Welt der Lebenden zu, wo der traumatisierten Amneris letztlich nichts anderes übrig bleibt, als Antrag und Ring von Ramfis anzunehmen und um Frieden zu flehen.

Bereits bei der Premiere dieser Inszenierung im Mai letzten Jahres stand Elena Stikhina als Aida auf der Bühne und sie bewies nun einmal mehr, dass sie eine ideale Interpretin dieser Partie ist. Sie gestaltete die Titelrolle mit einer Fülle an Emotion in jedem Ton und goss dabei ergreifend die widersprüchlichen Gefühlswelten zwischen ihrer Liebe zu Radames auf der einen und der Sehnsucht nach der Heimat auf der anderen Seite in farbenreich schillernden Klang. Dabei blieb ihr Sopran sowohl in den feurig glutvollen Ausbrüchen als auch den verklärten Pianissimi glasklar und fokussiert; die feine vokale Nuancierung und das träumerisch-warme Timbre verbanden sich überdies ideal mit ihrer schauspielerischen Darstellung der Aida als kämpferisch-sensibler Charakter.
Als ihren persönlichen Mount Everest hat Elīna Garanča immer wieder die Amneris bezeichnet und die Bergbesteigung gelang ihr an diesem Abend in jeder Hinsicht meisterhaft. Da ist einerseits natürlich ihr elegant geführter Mezzosopran, der in der Höhe leuchtend strahlt, in der Mittellage samtig gurrt und mittlerweile auch in der Tiefe über profunde Substanz verfügt. Andererseits ist es ihre differenzierte Gestaltung, die ihre Interpretation zu einem Erlebnis machte, denn wie sie der Figur mit kleinen darstellerischen Details Tiefe verlieh und wie sie die Farben ihrer Stimme nutzte, um die Amneris nicht als böse Furie, sondern als vielschichtige Frau darzustellen, war ganz großes Kino.
Warum sich Aida und Amneris eigentlich so erbittert ausgerechnet um Radames streiten, blieb jedoch ein Rätsel, denn dieser Feldherr glänzte weder mit Charisma noch Leidenschaft, sondern wirkte in der Darstellung hölzern und unbeteiligt. Vokal war Arsen Soghomonyan zwar nicht viel vorzuwerfen – außer vielleicht das ausgelassene Morendo im „Celeste Aida” –, denn er erledigte seine Aufgabe sauber, kraftvoll und höhensicher, aber seinem Tenor fehlte es dennoch deutlich an Wärme und Schmelz für diese Rolle.
Über beeindruckende stimmliche Mittel verfügt Amartuvshin Enkhbat, der den Amonasro mit voller Bariton-Wucht ausstattete. Textdeutlicher als in der Vergangenheit (wenn auch von klarer Aussprache noch einige Meter entfernt) gestaltete er die Rolle zwischen gutmütiger Väterlichkeit und kriegerischer List.
Den Ramfis, in dieser Inszenierung nicht Priester, sondern oberster Befehlshaber der Streitkräfte, gab Erwin Schrott mit selbstbewusster Nonchalance und seinem geschmeidigen Bass-Bariton, den er an diesem Abend mal dröhnend und mal schmeichelnd einsetzte. Alexander Köpeczi blieb als König zwar darstellerisch unauffällig, den mächtigen Landeschef nahm man ihm nicht so recht ab, aber stimmlich hinterließ er dank bitterschokoladig timbrierten Bass viel Eindruck. Für ebenmäßigen Schönklang sorgte Elene Gvritishvili als Priesterin und der Chor schaffte es hervorragend, sowohl die ätherischen Tempelgesänge als auch die kämpferischen Kriegsklänge farbenreich zu gestalten.
Unter der Leitung von Francesco Ivan Ciampa steuerte das Bayerische Staatsorchester viel glühende Leidenschaft bei, denn in den üppig aufwallenden Passagen drehten die Musiker im Graben so richtig auf und erschufen packend emotionale Klangwelten. Ebenso schön geriet die andere Seite des dynamischen Spektrums, in den zarten Pianissimo-Momenten schimmerte das Orchester silbrig glänzend, wodurch etwa das finale Duett – insbesondere in Kombination mit dem traumartigen Schlussbild der Inszenierung – entrückt himmlische Sphären eröffnete.