„Der Schluß ist schon gemacht“, so lautet das Alt-Rezitativ Johann Sebastian Bachs Kantate Komm, du süße Todesstunde, und „Ich bin nun achtzig Jahr, […] Ich will umkehren, […] mit Ehren graues Haar“ lässt er personifizierend den Bürgermeister in seiner feierlichen Mühlhäuser Ratswahlkantate Gott ist mein König sprechen. Beide Textstellen und Werke brachten, zusammen mit der Mühlhäuser Trauer- und einer weiteren tatsächlichen Abschiedskantate für den Weimarer Prinzen, diesmal verblüffend passend, bedeutungsschwanger und metaphorisch das Farewell des 82-jährigen Hermann Max' als künstlerischer Leiter des Festivals Alte Musik Knechtsteden auf den Punkt.
Schließlich war bereits bei letzter Ausgabe ausgeguckt, als Bach – wie überhaupt mit seiner verzweigten Familie neben Georg Philipp Telemann zentral im Festivalgeschehen ab 1992 – unter beleuchteter Beobachtung stand, dass das 300. Jahr der Ernennung Bachs zum Thomaskantor wirklich der Schlusspunkt in dieser Funktion für den nun am Abend durch den Dormagener Stadtvorderen mit der goldenen Ehrennadel ausgezeichneten Max werden wird. Ja, dem gewählten Nachfolger des großen Vorfahren auf dem Posten in Leipzig, den er allerdings nicht antreten und als Reaktion eben lieber seine eigene Festivalinstitution im Rheinland gründen sollte.
Machte Max diese gemeinsam mit dem Medienpartner WDR weit bekannt und zur öffentlichen Stätte für allerhand ausgegrabene Musikschätze, bilden diese bei einem eingeläuteten Ende unweigerlich aufkommenden Erinnerungen zudem einen Referenzpunkt zur Qualität des interpretatorischen – letzten – Moments. Bei den Bach-Kantaten war dies leider – wie bei Beispielen der vergangenen Jahre – eine dynamische, balancetechnisch wie tempomäßige Starrheit, undefinierte Merkwürdigkeit sowie eine bei aller an solchem Anlass erwartbaren Würdigung durch fehlend ordentlich geschlagene Auftakte unverschweigbare Übergangs- und Ausdrucksdefizität. Diese Aspekte zogen sich wie ein roter Faden beinahe komplett durch, als der gesetzte Festreigen mit Bachs Trauer-Actus Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit begann. Hatte in ihm Hans Jörg Mammel erste intonations- und registerbrüchige, ebenfalls anhalten sollende Probleme seines festeren, angestrengteren Tenors gezeigt, glichen zum Glück die elanvollen Gamben und Blockflöten sowie langjähriger Festivalstammsolist Matthias Vieweg als sich stets gegen interpretatorische Widrigkeiten behauptender Bariton-Appellator mit nachdrücklicher, engagierter Zuwortmeldung und starker Deklamation jene aufstoßenden Mängel aus. Auch Veronika Winter (Sopran) und Knechtsteden-Weggefährte David Erler (Altus) waren – hier nicht zu trocken – geschaffen für stilistisch klare, getragene Canti firmi.
Vor allem die Rheinische Kantorei unter Einstudierung von Max-Nachfolger Edzard Burchards war es aber, die sich als verlässlich wohlklanglicher, luftiger, immer entfaltenderer, homogener Chor auszeichnete. Erwies er der Todesauseinandersetzung gar Respekt und Einfühlung, verlieh die Kantorei frohgemute und glaubensrezeptionistische Sicherheit für das Ewigkeitsversprechen in eingänglich zitierter Kantate BWV 161. Diese gelang Max insgesamt am stimmigsten und differenziertesten, als sich das Kleine Konzert mit Geigen, Bratschen, Celli, Kontrabass (statt zuvor und auch weiter angebrachter ganz korrekter Violone), Blockflöten und Orgel in eingängig bildsprachlicherem Element befand. Generell merkte man den Instrumentalisten durch die Phrasierung an, dass sie mehr von ihrer Musikalität freischalten wollten. Die Kombination von Textlich- und Farblichkeit lag Erler ebenfalls besonders gut, während Mammel neben besserer Bewältigung über eigentlich geradlinig-diktionaler Artikulation wieder mit deutlichen Schwierigkeiten auffiel.

In der anderen eingangs aufgeführten Kantate BWV 71 konnte die Rheinische Kantorei Max zwar anders als im Text nicht vom Weitermachen überzeugen, aber als an entschiedenere Festlichkeit angepasster Stützpunkt – auch mit Winters solistischem Einsatz – für Versöhnung sorgen, herrschte ansonsten erneut wenig Gespür für die innewohnenden Effekte, auch des neuen (alten) Bachs. So verstörten gleichfalls in finaler Kantate Ich hatte viel Bekümmernis, die Abschiedskantate für Johann Ernst beziehungsweise die letzte, die er hören sollte, Uneindeutigkeiten und nun auf einmal, unangebrachtes Ritardando im „Alleluja“, doch entließen die Pauken und Trompeten, davor solide Einleitung mit Oboist Harm-Peter Westermann und Konzertmeisterin Ulla Bundies, einzig überraschend erfolgreiche Übergänge in „Was betrübst du dich, meine Seele“ sowie der stilfeine chorsolo/-ripieno-Part Max noch mal an alte Zeiten anknüpfend in den selbstbestimmten, verdienten Ruhestand.