Als Joseph Haydn sagte „Die Jahreszeiten haben mir den Rest gegeben. Ich hätte sie nicht schreiben sollen.“ oder an einer Stelle im Klavierauszug vermerkte „...es wurde mir aufgedrungen, diesen französischen Quark (Anm.: den Froschquarker Grétrys) niederzuschreiben“, sprach aus ihm der anhaltende Ärger. Baron van Swieten hatte nämlich nach dem fulminanten Gemeinschaftstun bei der Schöpfung nicht nur ein neues Oratorium bestellt, sondern im kompositorischen Prozess Haydns wieder ganz schön seine Finger im Spiel, seinem aus James Thomsons Vorlage redigierten Ansinnen der Darstellung des jahres- und immanent tageszeitlichen Naturempfindens in volkstümlicherer Belanglosigkeit einer Bauernerzählung nachzukommen. Kaschierte Haydn seinen Groll ansonsten höchst professionell, scherten sich die Besucherscharen ab 1801 trotz aufgegriffener Kritik am Libretto nicht um die Probleme „hinter den Kulissen“. Sie sehnten das neue Werk eben einfach herbei, so wie ich jetzt – ohne hoffentlich im Geiste Haydns zu einfältig anzumuten – Giovanni Antoninis Wiedergabe im Zuge des Haydn2032-Projekts, nachdem ich seine Schöpfung just im Hochsommer gehört hatte.

Florian Boesch, Giovanni Antonini, Anett Fritsch und Maximilian Schmitt mit Il Giardino Armonico © Lennart Ole Wirfs | Beethovenfest Bonn
Florian Boesch, Giovanni Antonini, Anett Fritsch und Maximilian Schmitt mit Il Giardino Armonico
© Lennart Ole Wirfs | Beethovenfest Bonn

Bevor es zum vertonten Teil dieser meteorologischen und kalendarischen Einheit kommt, brach selbstverständlich der Frühling aus, der mit den Naturinstrumenten des Giardino ebenfalls völlig logisch im Ganzen origineller als auf nivelliertem Moderngerät und in einer auffälligen Kontrastschärfe sprießen konnte. Zugleich demonstrierte er mit dem eben konkret typisch krustig-erdigen, schroffer agrarspezifischen wie gleichsam dichter und lichter an Himmel und Temperatur befindlichen Klangbild Antoninis das aus dem Winter erforderliche Aufbrechen des Bodens und neuen, zarten Lebens genauso wie die damit einhergehende harte Kärrnerarbeit der Landbevölkerung. Sie fand im NFM-Chor ihre jungknospigen, filigraneren, aber zupackenden Frauen- und tatkräftigen, etwas ungeschliffeneren Männerstimmen, ein exakt und dynamisch gefügiges Betriebsgefolge mit durchaus abrufbarem Überwältigungseffekt, selbst wenn der Text wegen der Akustik nur bestenfalls halb vernommen werden konnte. Umgeben waren die Klänge dabei von der Lichtkunst Kane Kampmanns, die den Kreuzkirchenraum mit ihren bewegten Zeichenlinien, 3D-Gebilden, Formen, historischen und natürlichen, referenziellen Motiven, (englischen) Textzitaten und Notenauszügen, leicht kitschigeren, diffuseren Elementen und Partikelströmen über die gesamten Jahreszeiten zu einer dezenten Begleitung der mottogebenden „Musik über Leben“ des Beethovenfests Bonn erweiterte.

Eine stimmliche Verwandlung konnte – nun im Sommer – auch Maximilian Schmitt als Landwirt Lukas zeigen, als er, wie bereits in Antoninis Schöpfung, bestätigte, dass das leise, luftig-seidige, planere, bestechende Vorbringen der natur- und hier humanherzbedingten Gefühlszustände eindeutig sein Ding ist. Im Gegensatz zum zu starken Forcieren, das ich zuvor als zu opernhaft beschrieben hatte. Zwar passte in diesem Oratorium durch seine Anlage und das Personenportfolio eine solche Attributierung grundsätzlich, allerdings mag mir Schmitts lauterer, vermeintlich ebenso theatralischer, Ausdruck generell ton- und epochenstilistisch nicht behagen. Anders ist dies bei Florian Boesch, der – gleichfalls wieder mit von der Partie, jetzt als gewandter Ackerpächter Simon – beide Grundlagen und auch Extreme, zudem im Register, erneut zu einem stets in sich und mit Musik und Wort voll- und gleichwertig stimmigen, einbettenden, leichtgängigen, spielenden Gefüge kombinierte. Ein zauberhaft charaktervolles wie somit artikuliertes Bauernmädel Hanne gelang Anett Fritsch, die mit dramatischem und phrasierendem Talent sowie rhetorischer Lust ihres ausgeformten Soprans Charme und frohlockend-unbeschwerten Keck aufs Feld ausbrachte. Obschon mehr Vibrato, setzte sie es charismatisch und stilistisch sauber ein, war bestens verständlich und verzichtete gar darauf, als sie die „Starre“ befiel.

Das geschah im Vorlauf zum Sommergewitter und dem kühlen Dunkel des Winters, das Antonini mit Il Giardino Armonico – wie die absolut fantastische Einleitung zur Morgendämmerung – in besonderer Stärke zu entwickeln verstand. Klar, auch die publikumswirksamen Horn- und Tutti-Chor-Kracher zu Erntedank und Weinlesen-“Juchhe“ des Herbstes erfüllten in herrlich derber, brummender Urigkeit ihren Zweck, doch waren es die sehr sanften Töne der lautmalerischen, verwundbaren Schilderungen, die das wirklich Sensationsartige ausmachten. Als sich zum Finale des ewigen Kreislaufs in Kampmanns wiedergekehrten Lichtzeichnungen schließlich Feuerwerke versteckten, traf dies die sofort stehend beklatschte Beobachtung dieser Jahreszeiten.

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