Mit Haydn, Janáček und Schumann geht das Quatuor Ébène in dieser Spielzeit mit einem Programm auf Konzertreise, das einen Überblick über 150 Jahre Gattungsgeschichte gibt und darüber hinaus kleine Querverweise enthält. Wie spannend dies sein kann, bewies that Quartett nun in der Berliner Philharmonie.
Eröffnet wurde der Abend mit Haydns D-Dur-Quartett. Im Programmheft war zu lesen, dass die Mitglieder des Quatuor Ébènes oft unterschiedlicher Meinung seien, wie etwas aufzuführen wäre – und das kam ihrer Darbietung des ersten Satzes durchaus zu Gute. Haydn war um 1770 noch dabei, die Form eines Allegrosatzes zu entwickeln, so dass von einem festen Gefüge noch keine Rede sein konnte, sondern eher von einem Labyrinth. Aus diesem führte das Quatuor Ébène nicht heraus, sondern es zeigte, welche Nebenräume sich in ihm entdecken lassen. Man konnte gut beobachten, wie die vier den Blickkontakt suchten, um sicherzugehen, dass eine gestellte Frage auch als Frage verstanden wurde. Mitunter wurde diese auch nur weitergereicht oder eine vorschnell gegebene Antwort als solche entlarvt.
Was im zweiten Satz geschah, ist mit dem Wort „wundervoll” kaum übertrieben bezeichnet. Hier wurde Musik zelebriert, in der Haydn sowohl das Thema als auch den festen Bass in jeder Variation einem anderen Instrument überließ. Höhepunkt war die Variation, in der Raphaël Merlin das Thema im Cello singen ließ, während Marie Chilemme in der Viola den Bass daruntersetzte.
Die Vier hatten ihre helle Freude daran, im Menuett den vorgeschriebenen Dreivierteltakt zu einem Zweivierteltakt umzubürsten. Im Presto scherzando treibt Haydn seine Späße mit einer verminderten Quarte, die das Quatuor Ébène grell hervortreten ließ. Erst in der Reprise integriert Haydn das Intervall in eine Kadenz, was unter den Fingern dieser Aufführung vorzüglich zu Gehör gebracht wurde.
Leoš Janáčeks Erstes Streichquartett ist inspiriert durch Tolstois Kreutzersonate. Rund 150 Jahre nach Haydn sind die von diesem entwickelten Charaktere zwar noch präsent, aber ausgebrannt und wie in sich zerstört. Janáček unterstrich sich in seinem Exemplar der Novelle die Passagen, in denen von der zersetzenden Wirkung der Musik die Rede ist, und die Darbietung des Ébènes war für meine Ohren keinem verborgenen Programm auf der Spur, machte genau dies hörbar. Das zu Beginn erklingende, das ganze Werk zusammenhaltende Motiv wurde vom Quartett wie ein Widerhall des menschlichen Innenlebens aufgefasst und dabei genau berücksichtigt, ob es sich im Quintenzirkel auf- oder abwärts bewegte, um dementsprechend hell und grell aufgeheizt oder resignativ abgeschattet zu werden. Im zweiten Satz ließen sie eine Polka anklingen, die aber keine Leichtigkeit schuf wie die volksmusikalischen Einwürfe bei Haydn, sondern auch in den Sog dieser destruktiven Musik geraten war. Im dritten Satz erklang, quälend im strengen Einklangskanon geführt, das entstellte Zitat aus Beethovens Kreutzersonate, das ganz von allem Humanitätston befreit war, den der mittlere Beethoven zu intonieren verstand. Sein beklemmender Ton ebnete der Totenklage des letzten Satzes den Weg, in der dem Motiv vom Beginn seine letzten Transformationen gegeben wurden, bis es in der Coda feierlich, wie von einer Orgel, begleitet wurde.
Schumanns Zweites Streichquartett wird von einem Hauptthema eröffnet, dessen weit geschwungene Melodie sich ausbreitete, als ob es Haydn Reverenz erwies. Auch in diesem Quartett war die feierlich-andächtige Darbietung des langsamen Satzes Höhepunkt des Ganzen. Im dritten Satz ließ Pierre Colombet eine Achtelgirlande über Synkopen der übrigen Instrumente fliegen. Im Finale erklang ebenfalls ein Beethoven-Zitat. Doch die Melodie des Schlussliedes Nimm sie hin denn, diese Lieder aus Beethovens An die ferne Geliebte ist hier noch voller geheimnisvoller Verheißung und als Musik gewordene Widmung an Clara hörbar. In der Durchführung ließ das Ensemble dieses Thema regelrecht aufblühen.
Als Zugabe erklang die Bearbeitung jenes Schumannschen Larghettos, das im Original Eingang in die Albumblätter für Klavier gefunden hat, und über das die Variationen im F-Dur-Quartett komponiert worden sind.