Eine eigene Opernproduktion bei den Münchner Opernfestspielen erlaubte der volle Terminkalender von Sopran-Superstar Anna Netrebko in dieser Saison nicht. Jedoch schaute sie nach ihrem Debüt in der Arena di Verona mit einem Liederprogramm in München vorbei, das sich ganz offensichtlich besser als Operngala gefallen hätte denn als ernsthafter Liederabend. Langeweile sollte es bei Netrebko nicht geben. Daher war der Abend nach Tageszeiten sortiert – erste Hälfte Tag, zweite Hälfte Nacht. Und so gaben sich russische und deutsche Lieder, französische und amerikanische Opernarien und italienische Salonmusik Schlag auf Schlag die Klinke in die Hand, dass einem schwindelig werden konnte. Dazu tanzte Netrebko über die ganze Bühne, warf Küsschen in die Intendantenloge oder kuschelte sich an ihren Begleiter Malcolm Martineau.

Aber wem wenn nicht Netrebko sollte es gelingen, diesen Blumenstrauß an Repertoire und Bühnenshow gekonnt zusammenzuführen? Als Resultat wurde bei der Sopranistin jedes Lied und jede Arie zu einem musikalischen Blockbuster im Miniformat, der stets die emotionalen Extreme suchte und sich auch die ein oder andere Effekthascherei erlaubte. Da gestaltete sich das russische Repertoire mit Liedern von Rachmaninow, Tschaikowsky und Rimsky-Korsakow als ausdrucksstarke, szenische Miniaturen, die Netrebko in wunderbar großen Bögen anging und mit ihrem goldenen, dunklen Timbre effektvoll auskleidete. Beim deutschen Repertoire, das aus vier Strauss-Liedern bestand, gelang ihr der opernhafte Ansatz allerdings nicht wirklich. Besonders auffällig wurde das im Morgen, für den sie neben Begleiter Malcolm Martineau auch den jungen Violinisten Giovanni Andrea Zanon auf die Bühne bat. Süßlich, aber mit etwas kurzatmigen Phrasen interpretierte Zanon seinen Kurzauftritt, während Netrebko sich zu sehr in dramatisiertem Stückwerk verhedderte und ihr der intuitive Zugang, der sie gerade in den russischen Liedern so auszeichnete, verloren ging. Von der Einheit aus Musik und Text, die so wichtig ist für die Strauss-Interpretation, war da nicht viel zu spüren. Über jeden Zweifel erhaben blieb dabei Martineau, der sich egal ob Lied oder Oper durchweg als aufmerksamer Begleiter präsentierte. Elegant und detailliert setzte der Brite am Klavier eigene Akzente, spielte farbenreich und mit vollem Klang.

Im Nacht-Teil des Programms eröffnete Netrebko im Duett mit Mezzosopran Elena Maximova und mit Luftballon in Sternform am Handgelenk. Insgesamt zwei Duette sangen die beiden Russinnen und überzeugten sowohl in „Es wird Abend“ aus der Tschaikowski-Oper Pique Dame als auch mit der unverwüstlichen Barkarole aus Jacques Offenbachs Oper Les contes dʼHoffmann mit unendlichen Linien und dynamischer Raffiniertheit – diesmal mit venezianischen Karnevalsmasken ausgestattet. Mit ihrem ebenfalls dunklen, etwas körnigen Timbre war Maximova dabei eine perfekte Ergänzung zu Netrebko.

Das Besondere, die stimmliche Leichtigkeit oder der Wille wirklich großes Risiko zu gehen, ließ sich aber nicht in jeder Sekunde des Programms erkennen. Dies gelang Netrebko nur passagenweise, zum Beispiel beim entwaffnend puristischen Als die alte Mutter aus den Zigeunermelodien von Antonín Dvořák oder dem melancholisch schönen Zdesʼ khorosho von Sergej Rachmaninow, das Netrebko mit glasklarem, schier endlos langem Spitzenton abschloss.

Als Zugabe gB es zweimal Italienisches mit dem Koloratur-Walzer Il Bacio von Luigi Arditi, bei dem Netrebko mit Belcanto-Feuerwerk aufwartete sowie Puccinis „O mio babbino caro“, das mit einem weiteren endlos scheinenden Spitzenton die Standing Ovations des Publikums sicherte.

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