Einer sensiblen Künstlerseele gleicht manche Kritik einem Messerstich ins Herz. Johann Sebastian Bach dürfte da zwar hartgesottener gewesen sein, doch ist nicht zweifelsfrei überliefert, ob er Johann Abraham Birnbaum tatsächlich damit beauftragte, eine detaillierte Replik mit der Unzulänglichkeit Johann Adolph Scheibes auf eine an ihn gerichtete Kritik zu verfassen. 1737 nämlich hatte jener Scheibe, späterer Kapellmeister am dänischen Hof und Kenner Bachs seit eigener Leipziger Jugend, in seiner Zeitschrift Der critische Musicus den Kirchenkompositionsstil des Thomaskantors für zu schwülstig, unnatürlich und kompliziert befunden, wenngleich er Bachs Tastenfähigkeiten und dessen reine Instrumentalmusik für die vortrefflichsten Europas hielt. Vielleicht lag Scheibe selbst noch etwas auf angeritztem Herzen, hatte er bei seinem Vorspiel als Thomasorganist bei Bach 1729 knapp den Kürzeren gezogen.

Laila Salome Fischer © Kinga Leftska
Laila Salome Fischer
© Kinga Leftska

Ausgerechnet bei Bachs Freund und dessen Stellenverschaffer Georg Philipp Telemann fand er danach Unterstützung in Hamburg. Dort betätigten sich der städtische Musikchef und wiederum dessen Herausgeberkollege sowie hanseatischer Strippenzieher Johann Mattheson als solche, die auch mit der Feder des Wortes agierten – mitunter zu gegenseitiger, teils recht originell-unterhaltsamer Stilkritik bei der Beurteilung der ein oder anderen Geschmacksfrage. Scheibes Sinn für musikalische Schönheit traf jedenfalls Telemann, den er als gewiss den, zusammen mit Carl Heinrich Graun und Johann Adolph Hasse, besten Komponisten in Sachen Melodie, Harmonik und Erklärbarkeit erachtete.

Die Auseinandersetzung nahm sich Concerto Köln mit Gastleiter Max Volbers und seiner Kollegin Laila Salome Fischer zur Grundlage für ein die beiden Kritikprotagonisten gegenüberstellendes Programm beim Forum Alte Musik der Domstadt, bei dem jeder selbst seine Argumente wägen konnte. Den Aufschlag bildete ein von Volbers konstruiertes Concerto für Altblockflöte aus den Sätzen des E-Dur-Violinkonzerts und eines später für das Zimmermann’sche Kaffeehaus in derselben Tonart für Cembalo neuaufgelegten Konzerts für ein Soloinstrument (BWV1053). Darin hätte sich Bach keinen besseren Fürsprecher als Volbers wünschen können, der Scheibes Instrumentallob in organisch fließender, phrasierungs- und verzierungs- wie affektexpressiver Meisterhaftigkeit bestätigte. Das in Ensemblebesetzungsstärke angetretene Concerto Köln wahrte dabei sowohl die Balance als auch die gemeinsam belebten Ritornellbögen, aus denen Volbers ein Quantum Seelentrost oder schließlich mit famoser Atem- und Fingertechnik virtuose Koloraturen abfeuerte, die – dazu mit nötigem Oberschenkelverschluss des Flötenausgangslochs – so herrlich gelassen daherkamen.

Selbiges in Bezug auf Qualität, Artikulation und Ausstrahlung, einem stimmigen Gesamtpaket der Zuhörfreude, lässt sich zudem von Fischer sagen, die die Aufgabe mit dem wunderbar abgeklärten Orchester und neben Volbers‘ weiter alle Vorzüge beherrschender Blockflöte (wenn nicht am Cembalo) mit solistisch herausgehobener Oboe Clara Blessings hatte, Scheibes Kritik durch die ersten zwei Sätze der Kantate Mein Herze schwimmt in Blut und die Vollständigkeit der Kantate Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust zu widerlegen. Ob glutvollere oder schlicht ermattend um Trost suchende Trauer, die innere, emotionale (V)Erfasstheit Bachs tief zu Herzen gehender Genialität kleidete Fischers Mezzo höchst verständlich, akkurat und stilvoll aus. Fischers klares wie schickes Erfolgsrezept vokalästhetischer Umsetzung, bei dem sie mit dunklerer Farbigkeit – selbst wenn leicht kurzatmiger – und noch mehr im mittleren und hohen Register mit scheinbar mühe- und sicher vor allem druck- wie intonatorisch makelloser Beweglichkeit und weich-wärmender Eleganz wuchern konnte, beruhte dabei auf vorbildlich muskulöser Ausprägung und Einsatzfähigkeit.

So verhalf sie auch Scheibe in seinen zwei oratorischen Arien-Beispielen mit fachgerechter Entzückung derart zu allen Ehren, dass dessen galant- oder empfindsam-melodischer, natürlicherer, mainstreamigerer Stil ausgesprochen apart wirkte. Nach Concerto Kölns sehr beglückenden Präsentation Scheibes A-Dur-Sinfonia, in der sich die antiphone Aufstellung bezahlt machte, lieferte besonders Blessing im Oboe-d’amore-Concerto weitere Argumente für ihn. Ebenfalls mit dem Eindruck einer coolen Socke schmeichelten ihre exzellente Tongebung und Phrasierung dem herausfordernden Instrument wie Bachs Herausforderer. Zwar war stets absehbar, dass Bach der Sieger aus musikalischer Mathematik und Metaphysik würde; dennoch konnte Scheibe größter Nutznießer des Gegenüberstellungskonzerts werden. Eigentliche Gewinner waren allerdings Concerto Köln, Volbers, Fischer und Blessing sowie die ihnen lauschenden Ohren.

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