Stéphane Lissner, Direktor der Opéra de Paris, feierte einen seinen größten Erfolg als künstlerischer Leiter des Théâtre du Châtelet mit Luc Bondys Inszenierung der originalen französischen Version von Verdis Don Carlos (eine geteilte Produktion mit La Monnaie und dem Royal Opera House). In dieser Version ritt Karita Mattilas Elisabeth de Valois auf einem wunderschönen weißen Pferd im Wald von Fontainebleau ein. In Krzysztof Warlikowski Neuinszenierung in Paris muss sich  Sonya Yonchevas Elisabeth mit einer Fieberglas-Version zufrieden geben, neben derer sie im Brautkleid posiert. Es ist eine kalte, gläserne Szene, die die Inszenierung des polnischen Regisseurs zusammenfasst.

Malgorzata Szczesniak holzgetäfeltes Bühnenbild beinhaltet einen roten Käfig, der das Kloster andeutet und sich später in eine Turnhalle verwandelt, wo eine kettenrauchende Eboli Kapitän der Fechtmannschaft ist. Phillipes Arbeitszimmer wirkt wie das Wartezimmer eines Zahnarztes, während Carlos in einem Gitterkäfig gefangen ist, wodurch er keinen physischen Kontakt mit seinem sterbenden Freund Posa herstellen kann. Anstelle seines Grabmals steht eine Büste Karl V. auf einem Tisch. Es ist alles sehr Film noir-schick, kalt und abgeklärt. Ein grießiger Zelluloidfilm flackernder Asche wird zeitweise über die Bühne projiziert, genauso wie eine Großaufnahme Jonas Kaufmanns Carlos, der eine Waffe an seine Schläfe hält. Phillipe wird von einem Dali’schen Film eines alten Mannes mit sich windenden Beinen, die aus dessen Mund hängen, heimgesucht.

Eine von Warlikowskis besseren Ideen ist es, Carlos mit bandagierten Handgelenken darzustellen, offensichtlich das Resultat eines Suizidversuches und eine Anspielung auf die mentale Instabilität des historischen Prinzen. Zu Beginn des 4. Aktes hatte Eboli die Nacht mit Philippe verbracht (allerdings ein unoriginelles Detail – Peter Konwitschny zeigte das gleiche in Wien). Warlikowski geht nobel mit Posas Tod um… bis sich der Bariton von seinem Totenbett erheben und von der Bühne spazieren muss.

Es gibt einige derartige Fehltritte. In der Gartenszene hat Eboli eben – durch Zufall – herausgefunden, dass Carlos in seine Stiefmutter, Elisabeth de Valois, verliebt ist. Dieses Geheimnis ist so niederschmetternd, dass Posa dazu bereit ist, sie zu töten, um sie zum Schweigen zu bringen. Was macht Eboli? Sie zündet sich eine Zigarette an und räkelt sich auf einem Stuhl. Warlikowski verbannt den Chor hinter einen halb-transparenten Vorhang zu Beginn des auto-da-fé, sodass er Philippes Zusammenbruch zeigen kann. Das Feuer der Ketzer ist bei seinem Auftritt ein Rohrkrepierer, ein einziges Opfer fällt vor ihm auf die Knie bevor ein paar klägliche Flammen projiziert werden. Die dramatische Temperatur bleibt an diesem Abend „frostig”.

Philippe Jordans Dirigat war schwerfällig und teutonisch, als ob er Parsifal dirigierte. Aber Hut ab, dass er die Version aus dem Jahr 1866 gewählt hatte, bevor Verdi einige Kürzungen (notwendig für die Premiere 1867) vorgenommen hatte, aber bevor er das obligatorische Ballett komponiert hatte. Es ist mittlerweile durchaus üblich, die fünfaktige Version zu sehen (selbst im Italienischen), das Publikum kennt also den entscheidenden Fontainbleau-Akt, in dem Carlos seine zukünftige Braut Elisabeth de Valois trifft – und sich in sie verliebt – nur um herauszufinden, dass sein Vater Philippe II. sie für politische Gründe an seiner Stelle heiraten wird. Andere Vorteile sind die Wiederherstellung der Szene im 3. Akt, in dem eine müde Elisabeth ihre Maske mit Eboli tauscht, um sich früher zurückzuziehen, und welche zu der Garten-Verwirrung führt, wenn Carlos glaubt, seine Liebe Elisabeth zu gestehen, aber stattdessen sein Geheimnis Eboli offenbart. Ein andere wesentliche Ergänzung ist die Szene zwischen Carlos und Philippe nach Posas Tod – Musik, von der Verdi wusste, dass sie zu gut war, um sie wegzuwerfen und diese später in der Lacrimosa seines Requiems verwendete. Andere Szenen – wie das gigantische Aufeinandertreffen von Philippe und Posa – zeigen allerdings, wie sehr Verdi die Partitur Jahre später für seine italienische Version verbessert hatte.

Lissner engagierte ein vergoldetes Team an Sängern, von dem Covent Garden nur träumen kann. Ludovic Tézier ist der Verdi-Bariton de nos jours und gab einen hervorragenden Posa, sein seidenes, sanftes Legato überzog eine unvergessliche Sterbeszene. Elīna Garanča brachte als glamouröse Eboli das Haus zum Einsturz, und zog alle Register im maurischen Schleierlied, wie man es von jemanden mit ihrem bel canto Hintergrund erwarten würde. Es überraschte, wie sehr ihr Mezzosopran angewachsen war, ein atemberaubendes „O don fatal” liefernd.

Sonya Yonchevas offenherziger Sopran zeigte eine zärtliche und fragile Elisabeth, ihre große Aria „Toi qui sus le néant” feinfühlig phrasierend. Jonas Kaufmann war in guter stimmlicher Form, und beschränkte seinen kennzeichnenden bedeckten Ton, obwohl seine Schauspielerei eingeschränkt war (Carlos ist – obwohl er der der Titelheld ist – der am wenigsten interessante der fünf Hauptprotagonisten). Ildar Abdrazakov lotete Philippes gequälte Tiefen aus, obwohl sein hartherziger Bass nicht ganz dunkel genug ist, aber eloquent meisterte er die Herausforderung des großen Königs-Monologs „Elle ne m’aime pas”. Dmitry Belosselskiys Großinquisitor war ein stimmkräftiger, scharf gekleideter Bond-Bösewicht.

Es war eine herausragende gesangliche Vorstellung. Schade, dass die Sänger in Warlikowskis eisiger Inszenierung gefangen waren.

Aus dem Englischen übertragen von Elisabeth Schwarz
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