Die Operette gilt in den Augen vieler Opernfans als minderwertige Gattung: oberflächlich, klischeebehaftet, verstaubt und oft misogyn. Dem zum Trotz wagt es Andreas Homoki, der Intendant der Oper Zürich, in jeder Spielzeit eine Operette auf die Bühne seines Hauses zu bringen. Diesmal fiel die Wahl auf Die lustige Witwe von Franz Lehár. Homokis Rezept: man nehme einen im Fach erfolgreichen Regisseur und engagiere für die Hauptrollen zwei international gefeierte Stars. Kosten darf es auch etwas, man ist ja in Zürich.

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Marlis Petersen (Hanna Glawari)
© Monika Rittershaus

Mit Barrie Kosky liegt die Regie nun in den Händen eines einschlägigen Profis, hat er doch in den zehn Jahren seiner Intendanz an der Komischen Oper Berlin etlichen vergessenen Stücken der Berliner Operettenära zu einem glanzvollen Revival verholfen. Zudem durfte Kosky die beiden Protagonisten gleich selber auswählen: die Sopranistin Marlis Petersen als Hanna Glawari alias Lustige Witwe und den Bariton Michael Volle für den Grafen Danilo. Ist das Rezept, so fragt man sich, aufgegangen?

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Michael Volle (Graf Danilo Danilowitsch) und Martin Winkler (Baron Mirko Zeta)
© Monika Rittershaus

In der Vorgeschichte des Stücks hat der begüterte Graf Danilo eine Ehe mit der mittellosen Hanna aus Standesgründen abgelehnt. Darauf hat die Enttäuschte den Millionär Glawari geheiratet, der aber bereits nach der Flitterwoche verstorben ist. Über zwanzig Jahre später begegnen sich die beiden wieder: Danilo, inzwischen Sekretär des pontevedrinischen Gesandten in Paris, sie als millionenschwere Witwe, die wieder heiraten will. Natürlich machen ihr nun alle Männer den Hof. Und der Gesandte hofft, dass Hannas Wahl auf einen Mann aus Pontevedro fällt, damit ihre Millionen dem maroden Phantasiestaat zuflössen. Nur einer will nicht, Danilo. Doch sehr schnell ist absehbar, dass genau er der Auserwählte sein wird. Bis zum ersten Kuss muss man dann aber bis zur Schlussszene warten.

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Marlis Petersen (Hanna Glawari)
© Monika Rittershaus

Marlis Petersen ist als Hanna eine Idealbesetzung. Mit ihren Rollenerfahrungen als Lulu oder Salome verfügt sie über ein sehr breites Gefühlsrepertoire. So kann sie gleichermaßen die lästigen Freier vom Leib halten wie den widerspenstigen Danilo umgarnen, so dass dieser sich schließlich zu einem Liebesgeständnis durchringt. Ihr eher leichter Sopran klingt bald verführerisch, bald herrisch, bald melancholisch – genau die erforderliche Mischung.

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Marlis Petersen (Hanna Glawari) und Michael Volle (Graf Danilo Danilowitsch)
© Monika Rittershaus

Michael Volles Charakter und Stimme hingegen passen nicht so recht zur Rolle Danilos. Sein Bariton ist oft zu schwer und zu laut, beim Tanzen sieht er aus wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Das Schauspielern beherrscht er indes sehr gekonnt: Wenn er den Betrunkenen, den Renitenten oder den Eifersüchtigen mimt, wirkt das sehr lebensnah.

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Katharina Konradi (Valencienne)
© Monika Rittershaus

Unter den Nebenrollen gefällt Martin Winkler als Gesandter Baron Zeta, den er in einer erheiternd komödiantischen Weise gibt. Zetas Ehefrau Valencienne und Camille de Rosillon, die eine heimliche Affäre miteinander haben, bilden das zweite Liebespaar. Katharina Konradi beherrscht das Doppelspiel zwischen „anständiger Frau“ und Abenteuerlust perfekt. Der Camille von Andrew Owens fällt stimmlich leider ab und tut einem in seiner hilflosen, geschubsten Rolle richtig leid. Dass schließlich der Diener Njegus mit Barbara Grimm zu einer Hosenrolle umfunktioniert wird, passt zum Genre.

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Die lustige Witwe
© Monika Rittershaus

Kosky inszeniert Die lustige Witwe als turbulentes Riesenspektakel. Während zwei Stunden wähnt man sich an einer ständigen Party, die mal in der pontevedrinischen Botschaft, mal im Salon der Glawari oder im Nachtclub Maxim stattfindet. Die Bühne von Klaus Grünberg stellt ein durch einen Vorhang mehr oder weniger abdeckbares Rondell dar, das als Zirkus, Variété, Tanzfläche oder Pavillon für ein Rendezvous genutzt werden kann. Die von Gianluca Falaschi konzipierten Kostüme vermitteln betörende Buntheit, Opulenz und märchenhaften Zauber. Zu diesem Augenschmaus tragen wesentlich der Chor und das Ballett der Oper Zürich bei. Durch die raffinierte Choreographie von Kim Duddy geraten gerade die Gruppenszenen zu einprägsamen Sequenzen, die jeweils am Schluss einer Musiknummer zu einem grell beleuchteten Bild erstarren.

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Katharina Konradi (Valencienne)
© Monika Rittershaus

Der Unterhaltungswert der Inszenierung ist groß, das Tempo extrem schnell, und es herrscht die sprichwörtliche Leichtigkeit des Operettengenres. „Die Tiefe darf man nicht spielen“, lässt sich Kosky im Opernhaus-Magazin zitieren. Natürlich könnte man versuchen, das 1905 uraufgeführte Stück politisch oder gesellschaftskritisch zu hinterfragen, wie dies im Gefolge des Zweiten Weltkriegs üblich war. Dabei würde aber möglicherweise genau das verloren gehen, was den Charme dieser Operette ausmacht. Immerhin relativiert Kosky den latent misogynen Charakter der Lustigen Witwe dadurch, dass er mit Hanna und Valencienne zwei selbstbewusste Frauenfiguren auf die Bühne stellt. Zudem fügt er dem Stück einen Schluss an, der die Frauenfeindlichkeit des „Weibermarsches“ im zweiten Akt durch einen Epilog Hannas kontert. „Zuhause markiert ihr oft das Alter“, singt sie da am Klavier, „doch auswärts seid ihr lose Falter.“

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Andrew Owens (Camille de Rosillon) und Katharina Konradi (Valencienne)
© Monika Rittershaus

Musikalisch kann man Die lustige Witwe als eine Abfolge unsterblicher Hits bezeichnen, die durch Dialoge unterbrochen werden. Ohrwürmer wie Valentiennes „Ich bin eine anständ’ge Frau“, Danilos „O Vaterland, du machst bei Tag“, Hannas „Es lebt eine Vilja, ein Waldmägdelein“ oder das Liebesduett „Lippen schweigen, s’flüstern Geigen“ klingen einem nach der Aufführung noch lange nach.

Michael Volle (Graf Danilo Danilowitsch) und Marlis Petersen (Hanna Glawari) © Monika Rittershaus
Michael Volle (Graf Danilo Danilowitsch) und Marlis Petersen (Hanna Glawari)
© Monika Rittershaus

Die musikalische Verantwortung für den Abend liegt in den Händen des erst 28-jährigen Dirigenten Patrick Hahn. In seiner Biographie fällt auf, dass er neben seiner Tätigkeit als GMD in Wuppertal auch ein Flair für den Jazz oder die Chansons von Georg Kreisler verspürt. Gerade Hahns Affinität zum österreichischen Chanson hört man in seiner Interpretation gewiss heraus. Wenn man jedoch die im Vorspann zum ersten Akt abgespielte Aufnahme einer (auf mechanischer Walze festgehaltenen) Improvisation Franz Lehárs über einige Melodien der Witwe zum Maßstab nimmt, muss man feststellen, dass da beim jungen Dirigenten noch Luft nach oben herrscht. Diese rhythmische Freiheit, die Lehár sich beim Klavierspiel gönnt, kann Hahn nicht eins zu eins auf den Orchesterklang der Philharmonia Zürich übertragen.

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