Bevor Franz Schubert im Alter von 31 Jahren der Musikwelt für immer entglitt, standen zwei Jahre einer unheimlichen musikalischen Leistung. Schubert schuf in wenigen Monaten die Winterreise, die Neunte Symphonie, die Messe in Es, das unendlich schöne C-Dur Quintett, seine drei großen Klaviersonaten und eben die beiden Klaviertrios in B-Dur und Es-Dur Op.99 und 100 – um nur die alles überragenden Werke zu nennen. Sein Spätwerk ist die Essenz seines unverwechselbaren Stils, den Nikolaus Harnoncourt zurecht als rätselhaftesten Monolithen der Musikgeschichte bezeichnete.

Wenn man sich mit Worten diesem Wunder nähern möchte, dann vielleicht mit dem Oxymoron „heiterer Ernst“. Schuberts musikalische Einfälle sind stets von pulsierender Lebensfreude und frohgemuter Heiterkeit geprägt, aber nie einfach nur lustig wie häufig bei Joseph Haydn. Schuberts Melodien sind aber auch beseelt und tiefgründig, tragen in sich einen dunklen Ernst, der in Sekundenbruchteilen in existentielle Melancholie changiert, nur um im nächsten Moment mit einem musikalischen Augenzwinkern aufgefangen zu werden. Seine Melodien atmen tiefen Melos, ohne je Pathos zu verströmen.
Die Brüder Capuçon mit Rudolf Buchbinder wurden diesem Anspruch fast durchweg gerecht, wenn auch mit gelinden Einschränkungen: So neigt Gautier Capuçon am Cello hie und da eben zu jenem Pathos, das Schubert zwar verträgt, aber nicht benötigt. Er trägt manchmal zu dick auf, das Vibrato etwas zu üppig, wie bei der großen Kantilene zu Beginn des Andante des B-Dur Trios, die doch vielmehr das Glück nach innen ausdrückt als es nach außen zu tragen. Weniger Pathos und dafür auch etwas weniger Tempo hätten dem Andante un poco mosso gut getan.
Der erste Teil des Konzerts war ohnehin nicht ganz rund; im ersten Satz war die Akustik des großen Saals der Isarphilharmonie mit der kammermusikalischen Intimität überfordert, und die drei Musiker hatten sich noch nicht eingeschwungen auf den kristallinen Klangraum, den das Akustikbüro Nagata den Münchner Musikliebhabern geschenkt hat. Rudolf Buchbinder am Klavier spielte besonders die Begleitakkorde allzu weich und zurückhaltend, so dass diese streckenweise verschwammen. Erst im Verlauf des zweiten Satzes verstand er es zunehmend, die Klavierpassagen differenziert in den Saal der Isarphilharmonie zu ziselieren, obgleich bis zuletzt mehr Prägnanz wünschenswert gewesen wäre.
Renaud Capuçon hingegen artikulierte anfangs oft zu trocken, besonders beim Spiccato und Staccato, so dass im ersten Satz des B-Dur Trios noch gar kein rechter Trioklang entstehen mochte. Auch der zweite war noch eine Trio-Emulsion, bevor im dritten Satz die kammermusikalische Mischung zunehmend gelang. Nach der Pause dann war die Einheit perfekt, man spürte und hörte, dass die Musiker zu sich und dem gemeinsamen musikalischen Glück gefunden hatten.
Besonders Buchbinder, der bereits dreimal mehr musikalisch aktive Zeit gelebt hat als Schubert und uns hoffentlich noch viele Jahre mit seiner unbändigen Gabe beglückt, bewies leichtfingrig und anmutig seine außerordentliche pianistische Qualität. Er war bis auf ganz wenige minimale Konzentrationstrübungen hellwach, hörte auf seine Kammermusikpartner, reagierte, räsonierte, resonierte, und kostete die Schubert‘schen Melodien voll aus. Er zelebrierte sie förmlich, reckte den Kopf in den Himmel und sang stumm Liedtexte mit, die doch eigentlich gar nicht in der Partitur stehen. Jedenfalls nicht auf dem Papier.
Rudolf Buchbinder ist ein Phänomen, ein Typ Musiker, den es heute nur noch selten gibt: Perfektion kann er zwar, wird diese aber nie dem musikalischen Ausdruck opfern. Und so hat man schon geschliffenere Interpretationen der Klaviertrios von Franz Schubert gehört, selten aber beschwingtere. Beschwingt war auch die Zugabe: Das flotte Scherzo aus Mendelssohns Trio d-moll, Op.49. Die Capuçons ließen noch einmal Finger und Bögen fliegen, und Buchbinder spielte keck und frisch, den letzten Akkord im Aufstehen mit lausbübischem Charme dahingefegt. Vielleicht war es auch damals so, als er anlässlich seiner Aufnahmeprüfung an der Wiener Musikakademie im Alter von fünf Jahren den Schlager „Ich möcht gern dein Herzklopfen hör’n“ zum Besten gab. Das Herzklopfen des Publikums hörte er vermutlich nicht, wohl aber den tosenden Applaus.