Es gibt nicht allzu viel originäre barocke Sololiteratur für die Bratsche, das Mittelstimmen-Instrument, über das gerne geunkt wird, besonders auch wegen manch lediglich harmoniefüllender Staffage in der genannten Epoche. Dabei hatte die Viola gerade zusammen mit der aufkommenden – dann überwältigenden – Bedeutung der Violine eine recht herausgehobene Stellung in Werken der vorangegangenen Blüte des Seicento gehabt. Doch wenn jemand ein kompositorisch-inszenesetzendes Herz für sie und andere weniger als Soloinstrument bedachte Instrumente hatte, dann Georg Philipp Telemann, der das erste richtige Concerto von Rang für die Bratsche schrieb.

Antoine Tamestit © lenaka.net
Antoine Tamestit
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Johann Sebastian Bach allerdings soll nach Aussage seines Sohnemanns und Telemanns Patenkinds Carl Philipp Emanuel bei Biograf Forkel das Streichinstrument am meisten geschätzt haben, spielte er es genauso wie die Geige. Immerhin sind Aufzeichnungen eines eigenen Arrangements der Kantatensätze BWV169 und BWV49 sowie seiner Einfälle vom Cembalo- beziehungsweise Orgel- und Violinkonzert BWV1053 zu einer an Telemann orientierten Konzertierung des Spielgeräts vorhanden. Wollte sich Antoine Tamestit dieser von Wilfried Fischer erarbeiteten Rekonstruktion bei seinem Zusammengehen mit der Akademie für Alte Musik Berlin letztes Jahr auch in Köln annehmen, musste er krankheitsbedingt absagen. Bei jetziger Neuterminierung wählten sie stattdessen eine von John Hsu erstellte, herrliche Fassung der Gambensonate BWV1029 für die Besetzung des Brandenburgischen Konzerts Nr. 6, das sie selbst als filigranes Finale gaben.

Neben Tamestit füllte Alexandru-Mihai (Sascha) Bota dafür den Platz im solistischen Duo an der Bratsche aus, der damit seine Pultpartnerin Sabine Fehlandt ersetzte, die – im Ripieno/Tutti verbleibend – ursprünglich vorgesehen war. Sowohl in diesem quasi Siebenten Brandenburgischen Konzert als auch in Nr. 6 erwiesen sich beide als sprichwörtliche Taktgeber und mit leichtem Bogen als phrasierungsliebende Gestalter, die jedoch das Ensemblewirken penibel achteten und so der tatkräftigen Bassabteilung als teils schicksalsgeprüfte Verbündete der Violen stets sehr angemessenen Raum gaben. Damit setzten sie insgesamt die gemeinsam mit Konzertmeister Bernhard Forck entwickelte Interpretationslinie fort, die jener mit den an der Stelle die Bühne verlassenden Geigen mit der Eröffnung durch Georg Friedrich Händels Ouvertüren-Concerto-grosso, Op.6 Nr. 10 vorgelegt hatte. Und in der sich die antiphone Akamus feinsinnig, jede Sektion selbstbewusst – anstatt violinstolz im Concertino zu zeigen, wer das eigentliche Sagen hat –, aber ohne zu gewolltes Auftreten, dafür lockend und frisch, mit Klarheit und dynamischem Gefühl die Effekte zuwarf.

Effekte, die bei Telemanns Grundstein-Concerto in G-Dur mitwippend-ulkiger Natur sind, doch im Gegensatz zur CD-Aufnahme der Beteiligten in ihrer skurrilen Übersteigerung live im Konzertsaal eher ausgespart wurden. Auch krankte manche Passage – wie bei Hsus Bach-Sonaten-Arrangement – leider trotz erwartet höchsten Niveaus an Intonationseinschränkungen sowie einem merkwürdig quetschigen Klang der A-Saite Tamestits natürlich mit Darm bezogener „Mahler“-Stradivari von 1672. Das hatte ich schon anders gehört. Und so kam es zum Glück wieder in entschieden besserer, wärmerer und generell sauberer Qualitätsbespielung in der zweiten Programmhälfte, wobei ich keinesfalls unterschlagen möchte, dass Solist und Akademie für Alte Musik im Telemann-Konzert mit kleineren Verzierungsrafinessen, Eleganz, imaginierender Ausfütterung in den langsamen Sätzen und der unbändigen Freude im Presto dem Komponisten und der Viola das weltmännisch-virtuose Bild verliehen, das er und sie besaßen und beim Publikum zum merklich überschwappenden Wohlgefallen führte.

Von Bachs Sechstem Brandenburgischen mit Zweifachbratsche wurde Telemann später wiederum inspiriert, nochmals mit einem Doppel-Pendant nachzulegen. Auch in jenem im Vergleich zum Einzel in der Anlage entschärften Concerto stand Tamestit und Bota ebenso wie den Zuhörern das Grinsen ins Gesicht geschrieben und passte – wie erwähnt, in gänzlich ansprechenderer Weise, zudem bei abgestimmteren Strichen – zum burlesken Charakter, mit dem Telemanns Ouvertüre TWV 55:B8, wie andere seiner Art, überschrieben ist. Nie dumpf, dennoch mit artikulatorisch extravaganterem Vortrag traf die Akamus den mitunter wilden Witz Telemanns, in dessen Mezzetin-Gaudisatzzugabe die Bratschen mit Tamestit im Tutti über sich, Vorurteile, alle einfach gemeinsam lachen konnten.

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