Jüngst öffnete die Elbphilharmonie mit zwei klangvollen Eröffnungskonzerten durch das NDR Elbphilharmonie Orchester, auf zehn Jahre Hausorchester in Hamburgs neuem Konzerthaus, unter seinem Chefdirigenten Thomas Hengelbrock ihre Tore. Am vergangenen Sonntag schließlich präsentierte sich das Orchester mit einem Sonderkonzert im Rahmen des dreiwöchigen Eröffnungsfestivals nicht mehr nur einem geladenen Publikum, sondern auch der breiten Öffentlichkeit.

Das klar in zwei Teile gegliederte Konzert begann mit dem bereits in den Eröffnungskonzerten erklungenem Wechselspiel von zeitgenössischer und Renaissance-Musik, das zugleich den neuen Raum klanglich auszuloten schien. In einem ausführlichen Textbeitrag im Programmheft erläutert Chefdirigent Hengelbrock seine Intention und macht den auf den ersten Blick nahezu willkürlich wirkenden Musikreigen auch für den Laien verständlich. So konzipierte Hengelbrock ein Programm, das im übertragenen Sinne die Geschichte der Musik nachzeichnet – angefangen von der Natur bis hin zur ambitionierten Kunstmusik der musikalischen Moderne, zugleich aber auch in seinen Ausformungen von solistischem Vortrag über das kleine Ensemble bis hin zu den Klanggewalten eines groß besetzten Orchesters. Auch räumlich wurde eine Erkundung der neuen Spielstätte vorgenommen, so dass das Parsifal-Zitat „Zum Raum wird hier die Zeit“ ein äußerst treffendes Motto darstellte.

Mit Benjamin Britten Pan aus seinen Metamorphosen erklangen die ersten Töne im Saal und Solo-Oboist Kuljus Kalev stellte sein Können unter Beweis. Zugleich wird bereits mit den ersten Tönen deutlich, wie fein und obertonreich die Akustik im Großen Saal der Elbphilharmonie von Akustiker Yasuhisa Toyota austariert worden ist. Kuljus war in einem der Ränge seitlich platziert und ließ den Raum mit seinem klaren Oboenklang regelrecht leuchten. In direkter Überleitung übernahm anschließend das Orchester mit DutilleuxMystère de l'instant. Sorgfältig lotete das NDR Elbphilharmonie Orchester hier die kontrastierenden Klangfarben von Streichorchester und Cimbalom sowie Schlagwerk aus und zeigte sich gerade auch als Meister der leisen Töne.

Als Ersatz für Rupert Enticknap sang anschließend Countertenor Alex Potter die virtuose Arie Dalle più alte sfere des Renaissance-Komponisten Emilio de' Cavalieri, abermals aus den Rängen. Auch in dem an vorletzter Stelle folgenden Madrigal Amarilli mia bella von Giulio Caccini war Potter noch einmal zu hören und füllte mit weichem Stimmklang den Raum. Ähnlich wie der Oboe schmeichelt die Akustik des Saals auch der menschlichen Stimme und vermittelt auch auf einem entfernteren Platz den Eindruck, direkt neben dem Musiker zu stehen – gleichzeitig lässt er aber keinen Raum für kleinste Unsicherheiten oder Unsauberkeiten.

Als weiteres Renaissance-Werk präsentierte das Ensemble Praetorius die Motette Quam pulchra es von Jacob Praetorius. Hinreißend sangen Ágnes Kovács, Alice Borciani, Mirko Ludwig, Jakob Pilgram und Thilo Dahlmann und wurden von Mitgliedern des Orchesters an den Violinen und Posaunen sowie Michele Pasotti an der Theorbe klanglich unterstützt. Ein einzigartiger Moment des Innehaltens, der den Konzertsaal für einige Momente regelrecht in eine Kathedrale zu verwandeln schien.

Diese drei Renaissance-Werke waren im Übrigen zwischen weiteren zeitgenössischen Werken platziert. Mit Bernd Alois Zimmermanns mit musikalischen Zitaten und Reminiszenzen gespicktem Photoptosis, Rolf Liebermanns fulminant-perkussivem Furioso und dem schließenden Finale aus Messiaens Turangalîla-Symphonie schien das Orchester seine neue Heimstätte auszuprobieren und feiern zu wollen. Insbesondere die so farbig instrumentierten Werke aus dem 20. Jahrhundert ertönten in einem stark differenzierten und differenzierenden Klang, der kaum einmal in lärmende Klanggewalt übering. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern sich die Elbphilharmonie gerade für Werke der musikalischen Moderne bewähren und einen Namen machen wird.

Kontrastprogramm erklang in der zweiten Konzerthälfte: Kaum ein Werk als Felix Mendelssohns jubelnde Sinfonie-Kantate hätte wohl besser in den feierlichen Reigen des Eröffnungsfestivals passen können. Im ersten Abschnitt bestach das Orchester mit kernigem Bläserklang und erdigen Streichern. Faszinierend zu hören, wie ein Werk eines so feinen Instrumentierers wie Mendelssohn in einem Saal mit solch unmittelbarer Akustik völlig neu und vom Staub der Jahre befreit klingen kann. Hengelbrocks gewohnt frische Tempi trugen zu diesem Eindruck ein Übriges bei.

In den lyrisch zurückgenommenen Teilen bestachen insbesondere die Bläser durch sorgfältig gearbeitete Phrasen und große Homogenität. Anschließend gesellten sich mit dem NDR Chor und dem Chor des Bayerischen Rundfunks sowie den Solisten Maria Bengtsson, Hanna-Elisabeth Müller (statt der erkrankten Julia Kleiter) und Pavol Breslik stark besetzte Vokalisten zum Geschehen. Beide Chöre sangen wie aus einem Guss mit guter Artikulation und ohne zu forcieren. Besonders in den Fugen bewiesen die Choristinnen und Choristen großes Bewusstsein für durchsichtiges Musizieren und Hörbarkeit der einzelnen Stimmeinsätze. Bengtsson bestach mit ihrem warmen, weichen Sopranklang und wurde einzig von der jungen, aufstrebenden Hanna-Elisabeth Müller mit großer Strahlkraft und angenehmer Bühnenpräsenz in den Schatten gestellt. Pavol Breslik präsentierte sich mit bewährt klarer Diktion und in allen Lagen brillianter Stimme.

Resümierend kann und muss festgehalten werden, dass trotz eines zweifelsohne hervorragenden Konzertes noch etwas Luft nach oben ist. Das NDR Elbphilharmonie Orchester hat nun die einmalige Chance, einen gänzlich neuen Saal für sich zu entdecken, an seiner so unmittelbaren, nichts verzeihenden Akustik zu wachsen und einen neuen, dabei ganz eigenen, prägenden Klang zu entwickeln.

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