Mit einem kleinen Auszug aus dem erstmals im Dezember 2020 digital präsentierten romantischen Traum-Programm Raphaël Pichons, Pygmalions und des Baritons Stéphane Degout in der ersten Spielhälfte sowie Wagners Siegfried-Idyll und Mendelssohns Schottischer Symphonie im zweiten Teil sollte sich der französische Dirigent und Ensembleleiter beim Mahler Chamber Orchestra vorstellen, dessen knackige Vier-Städte-in-vier-Tagen-Tour Station in der Kölner Philharmonie machte. Eine kleine Europa-Tournee mit seinem Pygmalion gerade absolviert, musste Pichon jetzt aber gesundheitlich passen, so dass dirigierendes MCO-Gründungsmitglied Philipp von Steinaecker einsprang, der Werkauswahl und -abfolge dabei unverändert ließ. Schließlich sagte auch Degout seine Teilnahme ab, so dass an seiner Stelle Michael Nagy sang, der erst letzten Monat mit dem Orchester zusammengearbeitet hatte.

Pygmalions Mein Traum, benannt nach einem 1822 verfassten Schubert-Brief über dessen Angst-, Sehnsuchts- und Enttäuschungserfahrungen, beinhaltet unter anderem die Unvollendete und kurze Lieder des österreichischen Komponisten in Orchestrierungen seiner Nachfahren und Bewunderer, wie Weber, Brahms, Schumann und Liszt. Sowohl die Symphonie Schuberts als auch mit dessen letztem Chanson Der Doppelgänger (arr. Liszt) und Gruppe aus dem Tartarus (arr. Brahms) zwei jener Lied-Beispiele bildeten im Konkreten die Mitnahme Pichons beim MCO. Neu dazu kam außerdem Regers Fassung von Schuberts berüchtigtem Nacht und Träume.
Sie umrahmten die zweisätzige h-moll-Symphonie in dramaturgisch-atmosphärisch passender Weise, wobei sie die Grundlinie von Steinaeckers Interpretation markierten. Nämlich starke Kontraste zu liefern für die Abbildung intro- und extrovertierter Expressivität, ja dem Existenziellen, die im theatralischen Instrumentalem von feinfühligster Begleitung bis zu epochaler Schwere reichte. Nagy gefiel dabei vor allem im tieferen, dunkler und anregender gefärbten Register, insgesamt am gefälligsten in Nacht und Träume, in dem seine Artikulation gewandter erschien.
Um die Kontraste näher auszuführen, die bei aller Explosion und Exploration fließendem, in Schuberts Symphonie selbst eher tempobreiterem Gestus unterworfen waren, seien zum einen die variierten Vibratoeinsätze erwähnt. Sie unterstützen den zart-sauberen, filigranen Effekt natürlich-beschaulicher, schlicht träumerisch gebetteter Transparenz zur Wandlung aufgewühlterer Wallung, die dann mit dichterem Mischklang einherging. Ferner die unterschiedlichen, historisch bedacht aber meistens harten Paukenschlägel Martin Piechottas sowie zum anderen dessen und generell die Dynamik, die im ersten Satz nicht zu ausgeprägt, dann immer mehr auch die stimmgrüpplichen Binnenschweller zu definierterer Vitalität berücksichtigte.
Spürbar lebte Wagners Siegfried-Idyll beim Ansatz des MCO und von Steinaeckers noch kräftiger auf. Ensemble und Dirigent waren in ihrem Element, so als sprechen sie eine gemeinsam einverleibte Sprache oder machten den von den Eltern auf Siegfried projizierten Traum durch, in dem sich Cosima Wagner am 25. Dezember 1870 just aufgewacht wähnte. Als Geburtstagsgeschenk damals komponiert und dargeboten, geriet es nicht nur zum musikalischen Präsent in der Philharmonie an sich, sondern am Abend zur Widmung und Dankesgeste für Haus-Intendant Louwrens Langevoort. Er, der zusammen mit seinen Kollegen das MCO auch in NRWs Hauptsälen verwurzelte, feierte seinerseits Ehrentag und hörte vor seinem Abschied im Sommer das Orchester zum letzten Mal in dieser Funktion – kein Wunder also, dass die Musiker überdies besonderes Engagement und Herz in das Stück legten.
Hatten die Trompeten in Schuberts Symphonie zu historischen Modellen gegriffen, kamen sie beim abermals gesteigert, diesmal zudem temporeich aufwindenden Mendelssohn darauf – unverständlich und doppelt inkonsequent – nicht wieder zurück. Neben den Pauken (Holz und Bässen) richtete von Steinaecker das Augenmerk sowieso speziell und entschieden auf die Hörner, die raue See, steinernes Gebilde, prozessionsgeschwängerte Eigenheit, doch zugleich ebenfalls traumhaft idyllische Erscheinungen mit den Streichern oder dem Klarinettenpaar derb-kernig, schärfend und in unerbittlich-brütender Übertönung malten. Damit bargen sie erneut das Existenzielle in sich, dem das Mahler Chamber Orchestra unter von Steinaecker zu eindrücklicher Deutung verhalfen.