Vor den heimischen Aufführungen mit den Beethoven-Klavierkonzerten begaben sich Sir András Schiff und das Orchestra of the Age of Enlightenment auf Gastspielreise auf das europäische Festland. Vor gehörtem Auftritt in der Philharmonie Essen in der Reihe „Große Orchester“ mit den Konzerten Nr. 1 und 2 traten sie beispielsweise in Hamburg (Nr. 3 und 4) auf, wo das Internationale Musikfest unter dem Motto „Natur“ stand. Unumgänglich also – wie in der Essener Kategorie längst etabliert und der Bedeutung völlig angemessen –, auch Orchester und Interpreten auf historischen Instrumenten einzuladen, denen man oft bestätigend per se ein besonderes Verhältnis zum ökologischen Schöpfungsprodukt nachsagt und bei denen das tatsächlich hörbar zu erwarten ist. Schließlich bestehen die Holzblasinstrumente wirklich aus Holz, die Naturhörner und -Trompeten haben keine oder zumindest nur wenige Bohrungen und tierische Stoffe belegen die Griffbretter der Streicher und Felle der Pauken.

Sir András Schiff © Nicolas Brodard
Sir András Schiff
© Nicolas Brodard

Berücksichtigt Schiff dies bei eigenem Orchester, der Cappella Andrea Barca, explizit nur bei Trompete und Schlagwerk, also nicht beim Klavier, greift er – wie bei letzter Zusammenarbeit bei Brahms – völlig übereinstimmend auch zum Hammerflügel, wenn es beim OAE schließlich korrektermaßen nicht anders sein soll. Dieser war eine von Regier gebaute Conrad-Graf-Replik aus der Sammlung Edwin Beunks, der Schiff durch technisch bewundernswert artikulierte Farben und Regungen so individualisierbare Bilder entlockte, dass man sich wünscht, er spielte fortan nur noch das mitunter nach wie vor mit dem Vorurteil der Trockenheit behaftete Fortepiano. Vielmehr trockener Humor entfloss dabei den Werken, die Schiff als Multitasker mit der Ausstrahlung tiefenentspannter Gelassenheit verband.

In Beethovens Klavierkonzert Nr. 2, also dem eigentlichen Erstling, dessen Einleitung mit dem Effet der Akzente recht streicherlastig, danach in passender intraorchestraler Balance auflebend ausgeglichen war, quoll resoluter und seicht-abgerundeter Witz aus pedaldynamisch und tastenphrasierend gestalteten Triller- und Handspielwechseln heraus. In den virtuosen Kaskadenfiguren kreierte Schiff sowohl Wonne als auch einsetzende größere Dramatik, deren Höhepunkt sich durch die bestimmte Klasse in der aufgedrehten Solokadenz entfaltete. Einen energetischen Habitus durchzog das majestätische Adagio, als es einerseits die zärtlich-kantable Seelenruh (auch mit Lisa Beznosiuks Flöte) spiegelte und andererseits das klassisch-kontrastvolle Aufbäumen im Tutti-Forte nicht zu kurz kam. Dieses Forte durfte das OAE im Rondo zu elementarer Theatralik steigern, in dem Schiff im flinken Tempo und sehr ornamentiertem Thema einen sympathisch-gelösten Spaß lostrat, der zu breitem Schmunzeln verleitete.

Im spürbar noch abgestimmteren Klavierkonzert Nr. 1, also dem Zweiten und dem ersten mit singstimmlichem Klarinetten-Pairing (Katherine Spencer), versetzte Schiff in schieres Staunen ob faszinierender Geläufigkeit und geheimnisvoller Passagerie am Hammerflügel sowie hypnotisch-süffisantem Aufgeräumtsein, das er mit einem Komik-Einfall am Ende der Kadenz garnierte. Das Komödiantische lebten er und das OAE – nach ausgelegter Verzückung des Genussempfindens im Largo – im Rauschschmeißer-Rondo aus, als lustvoll betonte Neckereien und Adrian Bendings Paukenwirbel durch die Lüfte schossen.

Ebenfalls anders als in Hamburg, wo mit Haydns Symphonie Nr. 99 jenes Stück auf dem Programm stand, um mit wiederum dessen erstmaligem Einsatz der Klarinette einen Bogen von der Hamburger Telemann'schen Chalumeau zur späteren Standardverwendung zu schlagen, wurde für Essen die im Hoboken-Verzeichnis geführte Nr. 93 (chronologisch die 97.) vorgehalten. Natürlich auch nach dem Sitz des Orchesters eine Londoner mit einigen Überraschungen und ordentlich Ironie. Schiff dirigierte hier ohne sein Instrument, dafür aber mit entsprechender Umsetzung, die – mit dem Strahlen des Orchesters und dem prominenten Ulk Jane Gowers Fagott – Dauergrinsen ins Gesicht zauberte. Wartete schon der erste Satz mit stabiler Effektiösität auf, überzeugten ein äußerst vital und würdevoll schreitender Marsch sowie ein feurig-robust schunkelndes Menuett mit alarmistisch-fanfarenhaften Triobeginneinwürfen mit crescendiertem Paukenwirbel vor dem Finale. Darin eröffnete sich ein kontrapunktischer Kehraus, für den Bending erneut auf die Drumsticks umrüstete, diese und das Tutti das zaghafte Bassmucken erschlugen und Schiff sich als Grandmaster seriösen Schabernacks in die Andenken des Publikums dirigierte.

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