Saisoneröffnung bei den Bamberger Symphonikern: seit Jahren pflegt Jakub Hrůša dazu Werke aus seiner tschechischen Heimat auf das Programm zu setzen. So kreiste in diesem Eröffnungskonzert alles um Brünn, der mährischen Metropole und Heimat des Chefdirigenten. Auch Leoš Janáček und Petr Fiala, Gründer des am Abend gastierenden Tschechischen Philharmonischen Chores Brünn und selbst Komponist, wurden dort geboren. Da die Symphoniker die „Seele“ in den Mittelpunkt ihrer Saison stellen wollen, war die Einstimmung aber einem Orgelwerk von Johann Sebastian Bach aus der Leipziger Choralsammlung von 1740 vorbehalten: Schmücke dich, o liebe Seele, BWV 654a.

Jakub Hrůša © Helmut Ölschlegel
Jakub Hrůša
© Helmut Ölschlegel

Die schon hundert Jahre älteren, von Johann Franck geschriebenen Strophen waren beliebte Gesänge zum Abendmahl, aus denen Bach ein wunderbares, in sich ruhendes Orgelwerk gemacht hat. Christian Schmitt, Principal Organist des Orchesters, zelebrierte am mechanischen Spieltisch der großen Jann-Orgel, deren Prospekt die Halle so eindrücklich prägt, die Momente von Erwartung und Zuversicht dieser Musik, die kunstvollen Umspielungen von Motivteilen, den freudigen Ernst des Schmückens: ein wunderbar stiller, ja „beseelter“ Eintritt in die neue Saison. Nicht nur am nachdenklichen Anfang, sondern auch im majestätischen Ende des Konzerts sollte die Orgel eine prominente Rolle spielen.

Petr Fialas Wunsch, dass Hrůša einmal sein 2017 geschaffenes Stabat Mater dirigiert, ging nun in der Bamberger Konzerthalle in Erfüllung: mit 55 Sängerinnen und Sängern war auch Fialas Brünner Konzertchor imposant daran beteiligt ebenso wie die mit dem tschechischen Idiom so vertrauten Bamberger Symphoniker, die 1946 von ehemaligen Mitgliedern des Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag nach Flucht- und Nachkriegswirren in Bamberg gegründet wurden.

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Christian Schmitt
© Helmut Ölschlegel

Der oft vertonte Text des Stabat Mater kreist um die Szene der Mutter Christi unter dem Kreuz, zeigt das maßlose Unglück von Maria, die soeben ihr einziges Kind verliert. Der unbekannte Autor lässt den Beter zum Ende hin die leiderfahrene Maria anrufen für Mitleid im eigenen Schmerz, einer Erlösung zu Paradisi Gloria, die in den meisten Vertonungen eindrucksvoll hymnisch besungen wird. Petr Fialas Sinn für vielfarbige Klangschichtungen und dynamische Effekte prägt seine Leidenssequenz; neben massiven Klangeruptionen wurde die Reflexion des Leids in fast asketischer Ruhe und bezwingender Gleichförmigkeit des Gebetsrhythmus vorgetragen, die an den Zauber von Arvo Pärts Klangsinn denken ließ. Dazu gelingt ihm in einem Kunstgriff eine besondere Charakterisierung: in der Stimme einer Soloviola drücken sich Marias Gefühle und Meditation aus, die mit dem Chor korrespondieren, der choraldichtes Summen wie dramatisch schmerzliche Ausbrüche authentisch gestaltete. Kristina Fialová beeindruckte mit der Stimme ihrer Viola in anrührender „Tongebung“ der Gottesmutter, die Rauigkeit ihrer Klage gleichermaßen wie die Salbung versprochenen Trosts ausdrückte.

Auch bei Leoš Janáčeks Glagolitischer Messe wurde Fialas Philharmonischer Chor Brünn kongenialer Partner der Bamberger Symphoniker. Sie ist ein Unikum in ihrer Gattung: Instrumentalsatz am Anfang und fanfarenartige Schluss-Intrada umrahmen die Messteile, ein Benedictus fehlt; statt lateinischer wird die altslawische Liturgie in glagolitischer Schrift vertont. Das großformatige Orchester ist mit umfangreichem und exzellentem Schlagwerk, Celesta und zwei Harfen besetzt. Dazu greift auch die große Orgel ein, die wiederum Christian Schmitt vom elektrisch fahrbaren Spieltisch neben dem Podium bespielte. Janáček setzt sie, immer wieder überraschend, insbesondere vor jener Intrada mit einer wild herausfahrenden Orgelpassacaglia ein, die Schmitt mit allen Registern seines Virtuosität mitreißend gestaltete.

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Jakub Hrůša dirigiert die Bamberger Symphoniker
© Helmut Ölschlegel

Der noch im Alter antiklerikal denkende Janáček wollte seinem eigenen Bekunden nach den Glauben an die Nation, an sein Volk und dessen tiefe Frömmigkeit ausdrücken, darüber hinaus die Landschaft seiner Heimat mit der riesenhaften Größe der Wälder einbeziehen. Janáčeks lyrisch liedhafte wie hochartifiziell anspruchsvolle Tonsprache, für Hymnisches wie Naturhaftes, brachten Jakub Hrůša und die Bamberger Musiker mit aufbrausender Streicher-Vehemenz, Trompeten-Glanz und rhythmischer Schlagfertigkeit mustergültig zur Geltung. Kateřina Kněžíková (Sopran), Jarmila Vantuchová (Mezzosopran), Eduard Martyniuk (Tenor) und Jan Šťáva (Bass) zeigten unbändige Leidenschaft in ihren Vokalsoli, ergänzten sich im Timbre ihrer Stimmen gut.

Satter kompakter Chorduktus der Brünner ließ sphärische Zartheit im Kyrie umso lyrischer schwingen, bis der jauchzend-dramatische Lobgesang in einer eruptiven Klimax gipfelte, die vom harmonischen Wohlklang des „Osanna” betörend schön aufgefangen wurde. Der Auszug aus dem Janáčekschen „Dom“ geriet wieder erhaben, wie wenn die Seele ihre Flügel weit ausspannte.

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