Dass man es besonders hervorheben muss, wenn eine Frau vor einem Orchester steht, beweist, dass dies noch lange keine Selbstverständlichkeit ist. Dirigentinnen sind im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen immer noch Ausnahmeerscheinungen. Die Tonhalle-Gesellschaft Zürich lädt in der Saison 2023/24 immerhin drei von ihnen zu Gastspielen mit dem Tonhalle-Orchester ein: Den Anfang machte eben Simone Young, später folgen Alondra de la Parra und Joana Mallwitz.

Youngs Zürcher Programm folgte der Absicht, für einmal etwas außerhalb der ausgetretenen Pfade des Repertoire-Betriebs zu wandeln. Eine Klammer bildete zudem die Tatsache, dass sich die Komponisten der drei vorgestellten Werke gewissermaßen eine Maske anziehen. Den Anfang machte Igor Strawinskys Ballett Apollon musagète. Der Komponist, der ja als ausgesprochenes Chamäleon der Musikgeschichte gilt, unternimmt es in dem neoklassizistischen Werk, die musikalische Welt Lullys und Rameaus zu zitieren und zu parodieren. Zum altertümelnden Stil passt auch die Geschichte aus der griechischen Mythologie: Apollo tanzt mit den Musen, die gleichzeitig seine Töchter und die Göttinnen der Künste sind. Auch die reine Streicherbesetzung verweist auf alte Zeiten. Young brachte das Stilisierte der Komposition trefflich zur Geltung, indem sie den musikalischen Ausdruck streng unter Kontrolle behielt, wohlwissend, dass die Fortsetzung des Abends noch Anderes bringen würde.
Wer das Programmheft nicht gelesen hatte, staunte nicht schlecht, als anschließend zwei Solisten mit E-Gitarre auf das Podium der Tonhalle traten. Ist man da im falschen Konzert gelandet? Nein, das war Absicht. Bryce Dessner, amerikanischer Gitarrist und Komponist, ist zwar einem Millionen-Publikum als Leader der Rockband The National bekannt. Doch zwei Seelen wohnen in Dessners Brust: Als klassisch ausgebildeter Komponist schreibt er auch Werke wie St. Carolyn by the Sea für zwei elektrische Gitarren und Orchester, das in Zürich als Schweizer Erstaufführung zu erleben war. Stilistisch trennt er da klar zwischen den Sparten, so dass man fast etwas enttäuscht war, dass die beiden Soloinstrumente, gespielt von Dessner selbst und David Chalmin, nicht etwas „rockiger“ daherkamen. Zudem wurden die zarten Töne der Gitarren beim gewaltigen Orchester-Crescendo des Mittelteils alsbald gänzlich zugedeckt – wohl passend zum Werktitel, der das Ertrinken einer Frauengestalt in den Wogen des Meeres suggeriert. Bei der Dirigentin war zu verspüren, dass solch effektvolle Musik ganz nach ihrem Gusto ist.
Mit der ganz großen Kelle rührt Richard Strauss in seiner Tondichtung Also sprach Zarathustra an. Auf der gehaltlichen Ebene schlüpft der Komponist in die Maske des Philosophen Friedrich Nietzsche: Der Prophet Zarathustra steigt zu den Menschen nieder, um sie seine Botschaft zu lehren; er verzweifelt jedoch an ihrer Resistenz, stirbt, ersteht aufs Neue und zieht sich in die Nacht zurück. Als Hörer kann man aber diese philosophische Ebene einfach ausblenden und sich dem üppigen musikalischen Geschehen hingeben. Eine Leitplanke bildet beispielsweise das gleich zu Beginn erklingende Naturmotiv, das sich durch das ganze Werk zieht.
Simone Young zeigte sich auch in Zürich als eine leidenschaftliche Strauss-Dirigentin. Mit der Riesenbesetzung verstand sie souverän umzugehen, verband dabei gekonnt die Qualitäten der fordernden Gebieterin und der empathischen Animatorin. Den ganzen Klangfarbenreichtum der Strauss’schen Partitur brachte sie prächtig heraus, und die emotionalen Charakteristika der einzelnen Abschnitte unterschied sie deutlich voneinander. Trotzdem ließ sie das halbstündige Werk nie in seine Einzelteile zerfallen, sondern spannte vom Sonnenaufgang des Anfangs bis zum Nachtlied des Schlusses einen großen Bogen. Und das Tonhalle-Orchester brillierte mit einer Spitzenleistung.